Weine für den Winter

Weine für den Winter

Dieter Ilg ist nicht nur einer der gefragtesten deutschen Bassisten, sondern auch bekennender Freund von gutem Essen und Trinken – wie viele unserer Leserinnen und Leser. Ab dieser Ausgabe wird er in dieser neuen Kolumne seine bevorzugten „Überlebensmittel“ vorstellen – und ab und an auch wieder mit illustren Gästen in der Küche zugange sein.

Im Winter werden vermutlich mehr Kerzen aufgestellt als im Sommer. Eine Stimmungssache, dem hohen bzw. niedrigen Stand der Sonne geschuldet.

So oder ähnlich verhält es sich mit dem Wein. Was an einem Winterabend schmeckt, mundet nicht unbedingt an einem Sommerabend. Eigene Erfahrung lehrte mich, daß ein Wein sowohl in der warmen wie in der kalten Jahreszeit schmecken kann. Bedeutend ist die Serviertemperatur des Weines. Sie ist wichtiger als die Außentemperatur, die von jedem von uns unterschiedlich empfunden wird. Stimmungssache eben. Unser Zeitalter der überwiegend menschengemachten Klimaveränderung beinhaltet Frühlingstemperaturen an Heiligabend ebenso wie Novemberkühle im Juni. Also alles relativ.

Hier meine momentanen „Winter“favoriten, deren Genuss mich zum einen animiert und zum anderen meine Verzweiflung über den vom Menschen wohl nicht mit dem nötigen Ernst interpretierten Klimawechsel mildert.

Aber dieses Fass will ich jetzt nicht öffnen, sondern mich der Entkorkung, Entplastifizierung, Entglasifizierung wie Entstöpselung von Flaschen widmen. Weinseligkeit. Drogenkonsum im Maß. Ohne Tränen. Legalisiert.

Vor vielen Jahren entdeckte ich die Weine von Josephus Mayr und Familie vom Erbhof Unterganznerhof in Bozen, Kardaun. Ein Prachtexemplar von Familienbetrieb, wenn auch an einem schwierigen und dennoch hochinteressanten klimatischen Ort gelegen, am „Schluchteneingang“ hinter Bozen, an der Mündung des Eisacktales zum Bozner Talkessel gen Brenner. Neben dem mir besonders zusagenden Lagrein Riserva sind die raren, an einen Amarone erinnernden Lamarein, sowie die Composition Reif V.d.T., die intensivsten Kreaturen, bei denen ich ab und an schwach werde.

mayr.unterganzner@dnet.it

www.weinladen-freiburg.de

Selbstverständlich tendieren viele Rotweinliebhaber an kalten Tagen zu einem eher schweren, dichten, kräftigen Geschöpf wie z.B. einem Madiran oder Cahors. Beide brauchen bereits vor dem Genuss intensive Zuwendung in Form des Dekantierens. Wie wäre es alternativ mit einem klassischen Bordeaux, z.B. einem Chateau Bel-Air La Royére von 2005, mit den Traubensorten Merlot und Malbec (meist in der Zusammensetzung von 70 / 30) ? Schwarzkirschalarm positivster Art !

www.wein-kreis.de

Etwas weniger wuchtig und feingliedriger geben sich gut produzierte Spätburgunder bzw. Pinot Noirs. Holger Koch aus Bickensohl im Kaiserstuhl, dem Vesuv Badens, wäre hier zu nennen. Seine Weinberge werden naturgerecht behandelt. Organische Düngung, Begrünungseinsaaten und Verzicht auf Herbizide bürgen selbstverständlich für Qualität. In Zusammenarbeit mit seiner Frau Gabriele Engesser geht hier vieles Hand in Hand. Momentan sind bei mir die 2011er, z.B. der 2011er Pinot Noir Selection auf Halde.

 

www.weingut-holger-koch.de

 

 

Die Rotwein-Cuvee „Parzival“ vom fränkischen Weingut Rudolf Fürst, nach dem mittelalterlichen Epos von Wolfram von Eschenbach – der eben diesen Roman auf der dem Weingut nahen Wildenburg verfasste – entlockt mir ein Lächeln. Drei Traubensorten tragen zur Homogenität des roten Saftes bei: Domina (für Sadomasochisten), Cabernet Dorsa und Spätburgunder. Nicht nur zu kräftigen Fleischgerichten passend.

 

www.weingut-rudolf-fuerst.de

 

 

Einer der Höhepunkte meines bisherigen Weinerlebens schlechthin: 2010er Puligny-Montrachet Les Pucelles, Premier Cru von der Domaine Laflaive. Ei der Daus, ich leerte eine ganze Flasche dieses formidablen Chardonnay innerhalb von zwei Stunden, war selig, und fühlte mich mutig. Sprichwörtlich im Freudental. Am Morgen danach glasklare Gedanken und keinen Kater. Wundersame Bekömmlichkeit. Von der Würzigkeit und Cremigkeit ganz zu schweigen. Edle Herkunft macht diesen Wein zum Luxus und zur Rarität. Nobel.

 

www.leflaive.fr

www.schloss-freudental.de/wein_auf_freudental

 

 

2007er Ripasso della Valpolicella Superiore D.O.C., von Torre d´Orti aus dem Veneto wäre noch zu erwähnen. Corvina, Molinari / Corvinone und Rondinella heißen die verwendeten Traubensorten dieses Sohnes aus dem Veneto. Konveniert bestens zur Pasta mit Würstchensauce.

www.ilpanino.de

Das winterliche Raclette seidig umrahmt ein 2008er Sauvignon der Domaine du Petit Clocher. Erfrischende Töne von Südfrüchten, verblüffend. Ein wunderbarer Gegensatz. Meine letzte Flasche davon schreit nach Meeresfrüchten oder asiatisch Zubereitetem. Statt drei Musketieren richten es hier drei junge Winzer. Ich bin gespannt auf die Folgejahrgänge.

www.domainedupetitclocher.fr

www.karl-kerler.de

Last but not least, darf es ein Müller-Thurgau sein ! Ach, höre ich all die Etikettentrinker seufzen, was will er denn mit diesem niedrigen Geschöpfe ? Ich bin kein Etikettenhörer und richte meine Nase nicht nach dem Wind. Wie in der Musik so beim Wein.

Genehmigen Sie sich ein Butterbrot, ein Schälchen Reis mit Tofu, ein Stückchen Forelle oder einen Wurstsalat. Das gewöhnlich Erscheinende birgt das Außergewöhnliche in sich. Naturland-Winzer Stephan Kraemer weiß die Natur natürlich zu nutzen. Der 2012er Müller-Thurgau trocken spricht Bände. Dazu verführte mich der bemerkenswerte Weinhändler und Jazzliebhaber Martin Kössler. Lassen Sie uns anstoßen ! Winter (äh, war da was ?) Ade !

www.weinhalle.de