Jazz Cooks 35

WHEN I’m 75…
Mit George Gruntz bei Peter Schmidlin

Wo, wenn nicht dort, lässt sich das Loblied der Langsamkeit trefflich singen? Hoch über dem Genfer See traf unser ChefGourmet Dieter Ilg seine alten Weggefährten George Gruntz und Peter Schmidlin, um in aller gebotenen Ruhe ohne Nostalgie in Erinnerungen zu schwelgen, regionale Langsamspeisen zu verspeisen und dazu heimische Tropfen zu genießen.

Sommer im Frühling, der April zeigt sich von seiner unaprilischen Seite. Aus dem spätnachmittäglichen PendlerFernzug gepellt, werde ich mit dickem Gruß am Bahnsteigende von George Gruntz und Peter Schmidlin – beide zu Basel geboren empfangen. Es muss unschlagbare 25 Jahre her sein, als man/ frau uns das letzte Mal zusammen sehen konnte. Mehr dazu später. Jetzt winden wir uns erst mal Straßenserpentinen den Hang am Genfer See nach oben, bis wir im wohnlichen Domizil ankommen. Der See spiegelt weit unten im frühabendlichen Dunstlicht. Auf dem kleinen Südbalkon lassen die hohen Berge dahinter ihre Silhouetten nur erahnen. Unten wälzt sich motorisiertes Blech gen Wallis.

Der Hausherr Peter Schmidlin, Plattenfirmengründer (TCB), Musikproduzent und Schlagzeuger in Personalunion, kredenzt sogleich eines der heimischen Gewächse, die den ganzen Abend über das festliche Mahl begleiten sollen. Der Chasselas, in Deutschland vor allem als Gutedel (z.B. aus dem Markgräflerland/Südbaden) bekannt, ist ein Villeneuve 2005er aus dem Hause Daniel Allamand. Dieser Winzer seinerseits ist Präsident des Schweizer Branchenverbandes Wein und hat sein Weingut Domaine du Scex du Châtelard eben in Villeneuve, gell. Dazu als Apéro gibt’s noch „Sunnerädle“, ein KümmelsalzGebäck. Schwuppdiwupp werden die Schürzen umgebunden, um die regionalen Gerichte vorzubereiten. Unter Barbara Frei Schmidlins Regie schneidet Gatte Peter die Schalotten, die hernach grob zerkleinert im Kreiselschneider fein gehackt werden. Nach vorsorglicher Ermahnung bezüglich der Vorliebe Peters für heiße Sachen – „nicht rösten, sondern dünsten!“ – konzentriert sich der Schlagwerker rührend um das Gemüse. George verlautbart seine Liebe und Hingabe ans Gemüse: „Ich bin ein Zwiebelafficionado!“ Nun werden die weißen Spargel aus dem Wallis, die in ein feuchtes, grünes Tuch eingewickelt waren, entkleidet und enthäutet. Alle schälen. Wiederum Barbara äußerst routiniert das Endstück abbrechend. Peter schwingt den Besen und mixt die Suppe minutenlang mit hunderten von Watt.
Währenddessen schwelgen wir – natürlich unsentimental – in unserer gemeinsamen Vergangenheit. Als Student der Remscheider Sommerkurse muss es 1980/81 gewesen sein, dass sich der damalige Pianodozent zwei Wochen nach dem Jazzkurs meiner erinnerte und per Telegramm (!) meine erste professionelle Konzertauslandsreise realisierte, damals mit eingepacktem Fender Fretless im Gepäck und ohne Kontrabass. Ich erinnere mich – als wäre es gestern gewesen – an das Öffnen der von Peter bei der Stewardess georderten ChampagnerFlasche auf meinem ersten Flug von Zürich nach Rom und weiter nach Sizilien. Dieser Initiationsritus enthielt eine höllische, filmreife Taxifahrt vom Hafen zum Flughafen von Reggio di Calabria: „Und weißt du noch, wie wir dieses fantastische Lokal in Rom in der Nähe des Tibers besuchten?“ frägt mich George. „Und wie wir im heruntergekommenen Hotelzimmer die Bretter der Schrankrückwand herausbugsiert und zwischen Matratze und schlappen Federkern gelegt haben?“ Und wir schwadronieren weiter, während die Suppe passiert, aufmontiert und erst dann abgeschmeckt wird. Ein 4erPackerl Bioeier erregt meine Aufmerksamkeit. Ob es das in Deutschland auch gibt, nie gesehen? Nur 6er oder 10er…
Barbara kocht die geschälten Spargel in einem Dampfdruckgarer (10 min. bei 100°). Wer keinen Dampfgarer hat, kocht die Spargel in Salzwasser oder Bouillon (Garzeit je nach Dicke der Spargel ca. 20 bis 30 min.). Übrigens, beim Anblick so eines Dampfdruckgarers assoziiert man/frau Torpedorohre oder CTTunnel. Was es für Geräte gibt…
Peter erläutert die ereignisreiche Geschichte des Gebäudes, in dem wir uns befinden, ein ehemaliges Hotel. Wussten Sie, dass die Engländer mehr oder minder den Tourismus in der Schweiz erfanden? O ja, der Vignes de Viognier 2005er, wiederum aus dem Hause Daniel Allamand, gleitet weich über die Zungenfurchen. Die französische Traube Viognier – nach neuesten Untersuchungen eng verwandt mit der italienischen Rebsorte Freisa, von der wiederum die so bekannte NebbioloTraube abstammt – wurde gar einst die Rhône herauftransportiert und fand eine „zweite“ Heimat im Wallis. Die FrühlingszwiebelSchaumsuppe mit Morcheln befindet sich somit in guter Begleitung und tränkt unsere Magenwände aufs Wohligste. Peters Tochter Anne hangelt sich gekonnt von Zoomeinstellung über Zoomeinstellung durchs kulinarische Revier, frisch, fromm, fröhlich, frei den Vater ins Visier nehmend. In der Dämmerung erscheinen die hinter dem See liegenden Bergketten noch mächtiger als zuvor, was eine einheimische Wespe nicht davon abhält, sich dem frisch kredenzten Beinschinken aufs Gefährlichste zu nähern. Stachelige Mitesser. Im Hintergrund tönt eine LiveAufnahme des Oscar Peterson 9tet in Lausanne aus dem Jahre 1953, eine Rarität. Spargel und falsche Hollandaise bilden eine hinreißende Liaison. Roher wie gekochter Schinken: die Bodyguards. Das frische Baguette knistert, ein Korken ploppt aus der Flasche Sauvignon Blanc 2002er von Bernard Cavé aus Ollon.
Peter räsoniert respektvoll, bezeichnet sich als Regionalist und befindet: „Slow Food ist das Beste, was der Welt passieren konnte.“ Dem ist gerade nichts hinzuzufügen. Wir fügen uns dem Schicksal und folgen George zum „Dessert machen“ in die Küche. Mit zwei hölzernen Kochlöffeln rückt er den halbierten Bananen zu Leibe, um sie bei der Garung in der Butter immer wieder zu bewegen wie zu wenden. Mit kritischem Blick hilft er dem Zucker durch Rühren zur Auflösung. Ein heftiger Schuss Whisky ergießt sich in die Pfanne – „Coltrane war JackDaniel’sFreak!“ –, eine Stichflamme erhellt die Szenerie, der Alkohol brennt, nicht mehr aufhören wollend. „Gottverdammi“ schallt’s in den Schweizer Himmel. Die Flamme ergibt sich der stimmlichen Urgewalt. Tasteur George befingert eine Banane prüfend und bittet zum NachTisch an denselben. Ein RieslingSilvaner (= MüllerThurgau) 2005er, von – dreimal dürfen Sie raten – Daniel Allamand bildet den weinischen Abschluss dazu. Beenden wir den feinen Abend mit einer Bauernregel: Sind an Georgi die Reben noch blind, freu’n sich Frauen, Männer, Kind. (Mit Georgi ist gemeint: „um den“ 23. April.) „Falsche“ Hollandaise à la casa (altes Hausrezept)
2 Eigelb, 3 EL Wasser, 5 EL Öl (Sonnenblumen), 1 knapper EL (milder) Essig, wenig milder Senf, Salz
Alles zusammen im Wasserbad zu einer cremigen Sauce aufschlagen. Sofort servieren. FrühlingszwiebelSchaumsuppe mit Morcheln à la Barbara
1 TL Butter, 2 Schalotten, fein gehackt, 120 g Frühlingszwiebeln in feine Ringe geschnitten (einen Teil des „Grünen“ für die Dekoration aufbewahren), 1.5 dl Weißwein (1 dl = 100 ml), 7 dl Gemüsebouillon, 2.5 dl Rahm, 50 g Butter (kalt) in Würfeln, Salz, Pfeffer, Muskatnuss, 20 g getrocknete Morcheln, in Wasser eingeweicht, gespült, in feine Streifen geschnitten, oder 60 g frische Morcheln, gut gewaschen, in feine Streifen geschnitten
Butter in Pfanne schmelzen. Schalotten und Frühlingszwiebeln darin andünsten. Mit Weißwein ablöschen und etwas reduzieren. Gemüsebouillon dazugießen und ca. 15 Minuten auf kleiner Hitze köcheln lassen. Anschließend Rahm dazugießen. Alles mit dem Stabmixer pürieren. Durch ein Sieb streichen. Die Butter aufmontieren. Abschmecken mit Salz, Pfeffer und Muskatnuss. Bananes flambées à la John Coltrane, frei nach George Gruntz
20 g Butter, 5 Esslöffel Grießzucker, 4 Bananen (der unreiferen Art), 2 EL zerhackte Mandelsplitter, ? Glas frisch gepresster Orangensaft, BourbonWhisky zum Flambieren, VanilleEis, geschlagene Sahne als frei gewählte Zugabe
Butter in Flambierpfanne schmelzen, die der Länge nach halbierten Bananen hineingeben und mit 2 EL Zucker bestreuen, Bananen auf beiden Seiten bräunen, Whisky beigeben, erhitzen lassen und dann flambieren (Vorsicht!), bei absterbender Flamme mit zwei Dritteln des Orangensaftes ablöschen und eindicken lassen. Für Sauce (No. 2) in separater Pfanne 3 EL Zucker hellbraun brennen und mit dem Orangensaftrest verdünnen, Mandelsplitter untermengen und unter Rühren etwas eindicken lassen.