Jazz Cooks 31

Hellblau und Dunkelrot
Unter einem Dach mit Lisa Bassenge

Unter den Dächern von Berlin ließ sich unser Chef-Gourmet Dieter Ilg dieses Ma(h)l von der vielseitigen Sängerin Lisa Bassenge bekochen. Ein reiches Bouquet aus Düften, Geschmacksnoten und Farbtönen regte alle Sinne an, verführte zu gewagten Assoziationen und ließ die Gedanken frei in alle Richtungen schweifen.

Ein Samstagabend in Berlin. Hoch oben unterm Dach, der Duft feiner Speisen erfüllt das dröge Treppenhaus. Die Flöte des Rattenfängers von Hameln ist Kinderkram dagegen. Lisas Tochter ist zu vernehmen, die Mutter lacht, Freund Jonathan lächelt. Rein in die Küche, in der schon aufs Heftigste gewerkelt und geschuftet wird. Die Farbe Hellblau brennt sich in mein Gedächtnis wie ein immer wiederkehrendes Motiv. Der Brotkorb, die Tisch-decke, die Kindersocken. Geruchs-Synästhesie, nun ja, manche Menschen sehen Farben, wenn sie Musik hören oder wenn ih-nen ein bestimmter Duft in die Nase steigt. Werde ich also immer an die Farbe Hellblau denken müssen, beim Duft gemesserten Knoblauchs oder dem sirenenhaften Magnetismus der Röststoffe, die dem der Hitze geopferten Lammstück entspringen? Zuerst lenken mich die dunkelrot gefärbten Fingernägel Lisas von meinen Fantasien ab, dann fällt mir die farbliche Entsprechung der Roten Bete dazu auf, das rohe Fleisch, der Emailletopf. Der Lammfond von Lacroix hechtet in den Bräter – ohne Schuppen und Gräten –, der Thymian riecht klar und deutlich. Wir sprechen von den verführerischen Düften und intensiven Geschmacksnoten frischester Kräuter. Mein Tipp ist immer noch voll schwärmend (siehe auch Heft Nr. 61, Jazz Cooks 27): Exotischer Kräutergarten, Dr. Ali Moshiri, Lichterfelder Allee 47C, 14513 Teltow, 03328-433459, Exotischer-Kraeutergarten@web.de. Ein Wahnsinn der sinnlichsten Nasenart.

Bleiben wir in der blumigen Sprache: Es soll erwähnt werden, dass die Rote Bete unseres „Beilagensalats“ zur Ordnung der Nelkenartigen gehört. Im Gegensatz zu einem Blatt Notenpapier können die Blätter des genannten Wurzelgemüses gekocht auch verzehrt werden (mangoldähnlicher Geschmack). Sie sind reich an Vitaminen und Mineralstoffen und haben die Eigenart, die Funktion der Leber zu unterstützen. Da der Ursprung dieser Wurzel (Beta vulgaris) mehr oder minder im Mittelmeerraum zu vermuten ist, nach Nordafrika lenkt, sind wir schon sehr nahe am Iran, dessen reiches, kulturelles Erbe unzweifelbar ist. Hier kreuzt sich unsere gedankliche Linie zurück zu Dr. Moshiri und Lisa Bassenge. Ob das nächste Album mit „Safran“ betitelt wird…?
Jonathan assistiert wie ein Weltmeister im Hintergrund, ohne Frings kein Ballack eben. Nebenbei und aufgrund unserer Geflügellebercreme palavern wir über Fernsehköche, Starallüren und Kochsendungen. Die Namen des Engländers Jamie Oliver und seines deutschen Klons Tim Mälzer fallen. Ich glaube mich zu er-in-nern, das Wort „hundefuttermäßig“ vernommen zu haben. Nun, zumindest bei Herrn Mälzer kostet Zeit Geld. Ich denke mir: Entweder ist das Zeitgeist oder der gute Mann wird pro ausgesprochenem Wort bezahlt, quasi pro Anschläge die Minute. Schlagobers.
Lilia beobachtet ihren Vater genauestens beim Brotschneiden: Sie spekuliert auf das erste Butterbrot. Konditionierung ist das A und O. Meersalz fliegt ins Kartoffelwasser, der Topf sprudelt.
Lisa reduziert den Portwein, in dem sich die kleingeschnittenen Schalotten hin und her wiegen, räkeln und zwischen den aufsteigenden Blasen hüpfen. Ob ein neuer Gasherd wohl sinnvoll wäre?, sinniert Lisa und kommt auf die Einkaufsmöglichkeiten in Berlin zu sprechen. Wir reden über die Qualität von Lebensmitteln, die Schwierigkeiten des Einkaufs, über Magazine wie Ökotest, Stiftung Warentest etc. Umfangreiche Informationen findet der geneigte Leser bei: www.greenpeace.de/einkaufsnetz oder www.foodwatch.de oder www.food-detektiv.de. Die eigene Nachforschung beim regionalen oder lokalen Anbieter hochwertiger Nahrungsmittel wäre auch äußerst empfehlenswert. Es muss nicht immer „Kaviar“ sein… Ein erstklassiges Brot mit geschmacklich intensiver Butter macht auch glücklich, siehe Lilia. Erwachsene, nehmt euch ein Beispiel an den Kindern.
Nun denn, ein Erich Kästner schrieb Folgendes: „Freunde, nur Mut! Lächelt und sprecht: Die Menschen sind gut, bloß die Leute sind schlecht.“
Da auch im Lebensmittelsektor das Geld offenkundig die Welt regiert, hilft jetzt nur noch ein Glaserl Wein: Ericka, 2004er Chateau Lafitte-Ceston, F-32400 Maumusson, ein Weißer aus dem Madiran. Die Geflügellebercreme beschwert sich nicht über diese französische Beglei-tung. Ebenso wenig wir.
Jetzt ist es an der Zeit für Lisa, das Lamm in Scheiben zu schneiden, das Fleisch sieht perfekt gegart aus. Auf den Teller damit. Jonathans Senfdressing kleidet den grünen Salat und bringt Frische ins Spiel, die gegarten grünen Bohnen bekommen zum Abschluss noch ein dünnes Kleid von ausgepresstem Knoblauch. Die La-Ratte-Kartoffeln passen bestens. Die Stürmer verwerten.
Und während wir uns schluckweise an Lisas Rotweinempfehlung laben, einem 2004er Mas d’Auzieres Les Eclats, einem Coteaux du Languedoc AOC (Weinhandlung Bruhn, Güntzelstraße 47, D-10717 Berlin, Tel. 030-8739008), widmet sich Lisas Tochter inniglichst dem Lammkeulenknochen. Haut und Knochen sind ihr Ding. Haute cuisine im ursprünglichen Sinn.
Doch noch ist nicht der Kuchen verteilt. Jeder will ein Stück davon haben. Die Tarte wird aufgeteilt und schwester- wie brüderlich geteilt. Welche Geschwistererfahrungen bei jedem im Spiel sind, diskutieren wir nicht, sondern Brasilienbesuche werden erwähnt, Filmvorlieben geklärt, die Küche aufgeräumt und die Essensreste unter Plastikfolie eingepackt (dank an Jonathan). Den Rausschmeißer macht ein Sauerkirschbrand von der Edelobstbrennerei Ziegler aus 97896 Freudenberg (www.brennerei-ziegler.de). Er gibt der Tiefe des Raumes enorme Wirkung, und zum Schluss halten wir alle mit unserer Freude nicht hinter dem Berg. Lisa hat ihre Tochter bereits ins Bett gebracht, der nächsten Babypause gedenkend, und fügt noch weise ins Geschehen, dass wohl Kaiser Friedrich die Hugenotten nach Berlin „importiert“ habe. Bonfortionös, jetzt machen wir keine Fisimatenten mehr und verneigen uns vor der Gastgeberin für ihr Mahl unterm Dach der guten Wünsche. Hellblau und Dunkelrot.RezepteRote-Bete-Salat: 3 bis 4 große Knollen Rote Bete, 2 bis 3 Schalotten, Olivenöl,
Zitrone, Aceto Balsamico, Salz, Pfeffer, eine Prise Zucker
Die Rote Bete in einem Topf mit Wasser bedecken und zum Kochen bringen, auf kleiner Flamme so lange kochen, bis sie weich ist. (Das dauert länger, als man denkt, so ca. ein bis zwei Stunden.) Wenn sie durch, aber noch bissfest ist, rausnehmen, schälen und in mundgerechte Stücke schneiden. Die Schalotten fein hacken und dazu geben. Mit den restlichen Zutaten abschmecken. Auch lecker dazu: gehackter Koriander.Lammkeule: 1 Lammkeule, vom Metzger ausgelöst, ohne Knochen, ca. 800 g, Salz, Pfeffer, 1/2 Tl. Thymian, 4 Knoblauchzehen, 20 bis 30 kleine Schalotten, 5 El. Olivenöl, 1/4 l Fleischbrühe, 1 El. Tomatenmark
Die Lammkeule von Haut und gröberen Fett-Abschnitten befreien, auf einem Brett ausbreiten und mit Salz, Pfeffer und einer Prise Thymian würzen. Eine Knoblauchzehe schälen, in dünne Scheiben schneiden und auf dem Fleisch verteilen, Keule zusammenrollen und mit Küchengarn zusammenbinden. Auch außen salzen und pfeffern. Die Schalotten pellen, ganz lassen, die restlichen Knoblauchzehen pellen und grob hacken. Den Backofen auf 200 Grad vorheizen. Das Öl in einem gußeisernen Bräter auf dem Herd erhitzen, die Lammkeule von allen Seiten fünf bis sechs Minuten scharf anbraten. Schalotten und den Knoblauch dazugeben und noch kurz braten. Mit der Fleischbrühe ablöschen, das Tomatenmark und den restlichen Thymian einrühren und den Bräter offen in den heißen Backofen schieben. Nach 30 Minuten einmal wenden. Nach 50 Minuten ist das Fleisch gar, aber noch rosa und schön saftig. Je nach Geschmack länger braten, aber vor dem Aufschneiden unbedingt zehn Minuten im zugedeckten Bräter (natürlich nicht mehr im Backofen) ruhen lassen.Geflügellebercreme mit Portweinsauce (Biolek): 150 g Hühnerlebern, 2 Schalotten, 1 saurer Apfel, Sonnenblumenöl, 2 bis 4 El. Calvados, Salz, Pfeffer aus der Mühle Für die Portweinsauce: 3 Schalotten, 1/8 l Portwein, 2 bis 3 El. Schnittlauchröllchen, Salz, Pfeffer
Die Hühnerlebern putzen und in grobe Stücke schneiden, Schalotten fein hacken, Apfel schälen und entkernen und in Würfel schneiden. Die Schalotten im Öl anbraten, bis sie glasig sind, Apfel dazugeben und anbraten, schließlich die Leberstücke zugeben und alles unter Rühren garen, bis kein Blut mehr aus der Leber tritt. Den Calvados darübergießen, kurz warm werden lassen und mit einem langen Streichholz flambieren. Die Mischung mit Salz und Pfeffer würzen, etwas abgekühlt im Blitzhacker zu einer glatten Creme pürieren. Im Kühlschrank einige Stunden kühlen.
Für die Sauce die Schalotten sehr fein hacken. In einem Topf den Portwein mit den Schalottenwürfeln erhitzen und ohne Deckel einkochen lassen, bis die Sauce sämig gebunden ist, dabei in den letzten zehn Minuten die Schnittlauchröllchen zugeben. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Die abgekühlte Creme auf Baguettescheiben, Cracker oder Bauernbrot streichen und mit der Portweinsauce beträufelt servieren.Tarte aux Pommes (sehr einfach!): Blätterteig (gefroren), 2 bis 3 säuerliche Äpfel, Butter, Zucker (1 bis 2 El.), einen Becher Sahne
3 Scheiben Blätterteig aus dem Kühlregal antauen lassen und auf einer bemehlten Fläche zu einem glatten, sehr dünnen Teig ausrollen, in eine gefettete Springform legen und die Ränder umklappen, sodass der Teig am Rand etwas dicker ist. Mit einer Gabel einstechen. Die Äpfel schälen und entkernen und in ca. 1 cm breite Scheiben schneiden.
Auf dem Teig auslegen und mit einem El. Zucker bestreuen. In den auf 180 Grad vorgeheizten Ofen stellen. Nach 20 Minuten, wenn der Zucker schon etwas karamellisiert ist, die Sahne drübergießen und den zweiten El. Zucker darüberstreuen.
Wenn die Sahne etwas verkocht ist und sich eine karamellfarbene Zucker-Sahne-Schicht auf dem Kuchen gebildet hat, ist er fertig (insgesamt ca. 40 Minuten).Empfehlung des Autors: Im Buchladen bin ich in der Vergangenheit des öfteren daran vorbeigegangen, habe reingeschnuppert, geäugt und es wieder verunsichert zurückgelegt, bis mir ein lächelnder Freund einmal ein frisch gedrucktes Exemplar schenkte. Seither bin ich infiziert und nahezu süchtig nach dieser Buchdroge, die viermal im Jahr erscheint: Häuptling eigener Herd. Ausgezeichnet mit dem Gourmand World Cook Book Award 2005. Lesevergnügen und Inspiration zugleich. Näheres: www.haeuptling-eigener-herd.de