Jazz Cooks 33

Trio Gastronale
Am Herd mit Christopher Dell, Michael Schiefel und Michael Wollny

Über Geschmack lässt sich nicht streiten – über Kochzutaten umso trefflicher. Debattierte Sujets beim kulinarischen Gipfeltreffen unseres Chef-Gourmets Dieter Ilg mit Christopher Dell, Michael Schiefel, Michael Wollny und deren Manager Tobias Schuster unter anderem: die Pros und Kontras von Sojawürsten, Sojaaufschnitten und Sojablöcken, Fett im Allgemeinen, Butter und Margarine im Speziellen.

Darmstadt, Münster, Schweinfurt. Drei deutsche Geburtsstädte, drei deutsche Typen. Mittendrin im auf der Landkarte gezogenen Dreieck: das Reiskirchener Kreuz mit der A5, auch E40 genannt. Da die meisten deutschen Autobahnraststätten – im Gegensatz zu den österreichischen – aus nahrungsmitteltechnischen Gründen gemieden werden sollten („man fährt so, wie man isst“), genießen wir unsere Kochwerdung in der Hauptstadt Berlin, nicht kopflos, ohne E405, aber mit Reis. Also kein Kreuz mit der Kirche. Auch keine Reis streuenden Mädchen…
Dafür mit Tobias Schuster, Manager aller drei kochenden Akteure, seinerseits Karottenlehrling in Ausbildung. Mit sympathisch urbayerischer Brotzeitruhe lässt er sich bereitwillig in die Kunst der Messerführung einweisen. Ein Zögling Elmaus, der mit dem Namen seiner Agentur „shoestring“ an einige Bergwanderungen erinnert. Ein Berchtesgadener auf eigenen Beinen in Berlin, an Auftritten für seine „Schützlinge“ intensiv arbeitend. Christopher Dell und Michael Schiefel beobachten ihn mit Freude in der Küche mithelfend. Die beiden sind schon heftig in ihre Vorbereitungen vertieft, Michael S. erfrägt so manches Werkzeug vom Inhaber der Küche. Christopher da, Christopher dort, alle am gleichen Ort. Noch nie war dieser Raum von so viel gleichzeitig Werkelnden besetzt, entfährt es aus seinem Munde. Denn in der Zwischenzeit hat sich auch Michael Wollny die imaginäre Küchenschürze umgebunden. Der geräumige Raum gleicht einem Taubenschlag. Noch gurrt alles in geschäftiger Stimmung. Kein Falke in Sicht.
Ich entdecke Unmengen von verpackten Holzbriketts vom Biomassehof Brandenburg GmbH. Die Reiskörner in der Hand, zeigt Christopher auf seinen Kamin, die Energiepreise erwähnend: „Wenn der Gaspreis an den Ölpreis gebunden sein soll, müsste meine Gage ja dann auch steigen, wenn Madonnas Gage sich erhöht…“
Die Logik der Realpolitik entzieht sich jeder Sinnhaftigkeit außer der des eigenen Vorteils. Anders gesagt, die Angst vor eventuellen Nachteilen verleitet so manchen Politiker – und auch Nichtpolitiker – zum Brudermord. Der Fisch stinkt vom Kopf her. Da freuen wir uns mächtig, heute auf Fisch verzichten zu können.
Meine persönliche Abneigung gegen Tofuwürste geistert mir durch den Kopf. Lieber eine Weißwurst als eine optische Täuschung. Nichts anderes sind die Tofuwurst oder andere Merkwürdigkeiten wie Tofuaufschnitt. Denn sie implizieren einen Mangel, eine Minderwertigkeit, sonst müssten sie ja nicht als Wurst auftauchen. Tofu in Blockform wiederum macht Sinn. Und solcher aus garantiert nicht genmodifiziertem Soja umso mehr (www.taifun-tofu.de).
Michael S. würfelt Schinken und Käse, erhebt seine Stimme und frägt in die Runde: „Wo ist denn das Salz? Wo ist denn die Backform?“ Dann mengt er mit seinen Händen den Teig in einer Schüssel. Nun muss der geknetete Ballen in die Form, also keine Knochen-, sondern Knöchelarbeit, gell. Und finalmente wird noch fein Muskat gerieben, bevor die Füllmasse auf den Teig gegossen im Ofen verschwindet. Sein Kehlkopf schnurrt zufrieden.
Michael W. wühlt sich durch seine Kürbisidee, solcherart Kerne anröstend. Schwupp, es knistert und zischt aus der heißen Pfanne. Nebenher wird Kürbis zerkleinert und verfeinert. Die Auflaufform ist prall gefüllt. Die Tastatur des Kürbis, hingabevoll. Auch zehn Finger sind im Spiel beim vorsichtigen Muskatabend. Apropos Reibe, Re und Contra sind die Frage. Schon mal was von microplane-Reiben gehört? That’s the shit (www.micro-plane.com).
Auch Christopher kämpft sich entspannt durch die einzelnen Gemüseberge, während Gewürzfahnen durch die Küche ziehen. Er schwärmt von Ghee, einer tierischen, gereinigten Butter, die auch für Vegetarier gut geeignet sei. Das beste Ghee ist zumeist das selbst gemachte. Und hier gehen die Meinungen weit auseinander. Ob Süßrahm- oder Sauerrahmbutter?
Doch zunächst klingelt die Garwerdung der Quiche Lorraine. Auf den Tisch damit und alle zu Tisch bitte. Zur Kuchenbombe eine Weinbombe, zweifellos. Wir laben unseren ersten Hunger durch die noch warme, zünftige Vorspeise. Das funktioniert bestens. Als Wein ein Weißer Burgunder trocken***, „Trio“, Spätlese 2004 (14,5%) von Reinhold und Cornelia Schneider aus Endingen am Kaiserstuhl (www.weingutschneider.com). Ein zu goutierender Wonneproppen. Passt.
Wir wählen Fett als Thema der Stunde. Fett ist Geschmacksträger, ohne Zweifel. Dass angefangen mit der Generation unserer Mütter das minderwertige Industrieprodukt Margarine immer noch als „Heilsbringer“ gehandelt wird, ist ein wertes Zeichen unserer Lebensmitteldegeneration. Unsere Fotografin ist entsetzt ob meiner Ausdrucksweise, dass Margarine meines Erachtens ein Abfallprodukt darstellt. Weiterführende Literatur bei Ulrike Gonder, „Fett!“, Hirzel Verlag.
Fett geht es weiter im übertragenen Sinne. Die Hauptspeise naht, die Speise zieht noch vor sich hin, die einzelnen Geschmacksstoffe vermengen sich. Christopher setzt einen ayurvedischen Tee auf und serviert auch schon den großen Gemüsetopf mit dem Reis. Frischer Koriander (auch Schwindelkraut genannt) wird gereicht.
Das äußerst leicht erscheinende Essen wäre ein geniales Mittagessen für „on the road“ im Allgemeinen. Die mit den Zähnen aufgeknackten Kardamonkapseln werfen explodierend Geschmackspfeile durch den Mundraum. Bekömmlich.
Noch während von Christophers Jugend im Nordosten Indiens und der Reise dorthin mit dem Schiff durch den Suezkanal zu hören ist, macht sich Michael W. wieder in der Küche zu schaffen. Die Auflaufform will im Backofen ihren Inhalt garen lassen. Das Thema Indien verbinde ich noch einmal schnell mit dem Thema Rama, ganz klar. Allerdings wäre deswegen die Ur-Margarine heute sicher nicht beliebter als früher. Die Originalrezeptur von 1869 bestand aus Rindertalg, Wasser, Magermilch und wohl auch etwas Kuheuter. Aber wir müssen ja nicht wie Napoleon nach einem billigen Ersatz für Butter als Truppenverpflegung suchen… Finden wir lieber den Nachtisch.
Das Dreierlei vom Kürbis wird von Michael W. freudestrahlend serviert. Perfekt die Kombination von Vanilleeis, Kürbiskernöl und frischer Minze. Der vom Tasteur mitgebrachte Marillenlikör um Mitternacht tut sein Übriges. Wir lehnen uns gefüllt zurück und verschwinden einer nach dem anderen in die Tiefen der Nacht. Des späten Mahles gedenkend. Die Resonanzröhren vibrieren, die mit Wolle umspannten Gummibälle tanzen im Loft mit Kaminofen.

Quiche Lorraine gemäß Schiefel (als Vorspeise für 8 Personen):
Teig: 250 g Mehl, 1 Ei, etwas Wasser, Salz, 125 g Margarine
Füllung: 100 g Schinken, 1 Porree, Salz, Muskat, 4 Eier, 250 g Käse, 1 Crème Fraiche, etwas Milch
Teig verkneten und in gefettete Form einpassen. Erst gewürfelten Schinken, dann gewürfelten Käse, zum Schluss Porree drauftun. Crème Fraiche, Eier + Gewürze + Milch verrühren und drüberschütten. Bei 200 Grad ca. 30 Minuten in den Backofen.

Indisch Dell Freestyle (für 3 hungrige Musiker oder 8 Asketen)
2 Auberginen, 3 Zucchini, 8 Möhren, 2 Broccoli, 2 Esskartoffeln, 400 g Tofu, 2 Zehen Knoblauch, 1 Chili, 1 Esslöffel Ghee, 2 Esslöffel Korianderpulver, 2 Esslöffel Kreuzkümmelpulver, 1 Esslöffel Curry, 3 Esslöffel crunchy Erdnussbutter, Kardamonkapseln, frischer Koriander, 200 g Cashew-Nüsse, 2 Esslöffel Sojasahne, Salz ad lib, 500 g Basmati-Reis
Gemüse klein schneiden (wichtig: Karotten vom Manager schneiden lassen). Knoblauch klein gehackt. Chili in Mörser verreiben. Tofu klein schneiden, in einer extra Pfanne anbraten, beiseite stellen.
Im Topf Knoblauch mit Chili, Ghee und Gewürzen anbraten. Dann mit ein wenig Wasser löschen. Sud entstehen lassen. Dann Gemüsezutaten zugeben, mit Wasser so anfüllen, dass Gemüse gut garen kann. Wenn das Garen schon weit fortgeschritten ist, Sahne, Tofu, Erdnussbutter und eine Hälfte des Korianders zugeben, abschmecken und prüfen. Remix (je nachdem) mit Sahne, Salz, Wasser. Gut durchziehen lassen. Am Schluss die gehackten Cashew-Nüsse zugeben.
Reis anbraten mit einem Esslöffel Ghee. Wenn er braun ist, 1 l Wasser hinzugeben. Aufkochen lassen und dann auf kleinster Flamme gut werden lassen. Zusammen servieren. Zweite Hälfte des Korianders frisch auf dem Gericht verteilen.

Kürbisdreierlei wollnystisch (für 6 Personen)
1 Kürbis, 150 g bis 200 g Kürbiskerne, echtes steierisches Kürbiskernöl, Vanilleeis, weißer Zucker, Wasser, Muskatnuss, Zimt, Minzblätter, Marillenlikör
Einen kleinen Kürbis in kleine Viertel schneiden, üppig mit Butter und Akazienhonig bestreichen, mit Muskatnuss würzen und in einer Auflaufform ca. 20 bis 30 Minuten bei 180 Grad backen. 150 g bis 200 g Kürbiskerne in einer Pfanne rösten. Eine Espressotasse weißen Zucker mit der gleichen Menge Wasser in einer Pfanne erhitzen, nach wenigen Minuten die gerösteten Kürbiskerne dazugeben und bei mittlerer Hitze kandieren. Zum Abkühlen auf Backpapier geben und eine halbe Stunde erstarren lassen.
Den erstarrten Kürbiskernzuckerkeks in kleinere Teile brechen und zusammen mit zwei Kugeln Vanilleeis und dem Honigkürbis auf dem Teller anrichten. Einen Esslöffel Kürbiskernöl über das Eis geben und den Honigkürbis mit Zimt bestreuen. Mit frisch gehackten Minzblättern servieren. Dazu einen guten Marillenlikör reichen.

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