Jazz Cooks 48
Gewinckelmannte Kalbsbäckchen.
Hessisch-nordbadisches Familientreffen mit Anke Helfrich und Matthias Winckelmann
Tonkonserven, frisches Fleisch, Obst und Gemüse, heimischer Wein und geballter Musikkunstverstand: die Zutaten für das perfekte Winterdinner. Unser Chef-Gourmet Dieter Ilg verstand sich nicht nur sprachlich blendend mit ENJA-Chef Matthias Winckelmann und Pianistin Anke Helfrich.
Hinter der Gartentür erwartet mich zur Linken ein wunderbarer, weiter Blick in die Rheinebene. Rechterhand entdecke ich den Hausherrn durch das große Wohnzimmerfenster, am Telephon sprechend. Auf seinen Wink trete ich ein, ins Reich des tonkonservengeschwängerten Wochenendhauses. Es herrscht und fraut ein reges Treiben vor und in der Küche. Ein leichtes „Aha“ von Anke, als sie mich erblickt, ein tiefes „Oha“ von Matthias beim Händedruck. Gwschätzt isch. Gell. Soll gleich ein Glas Silvaner meinen Blick in die Kochtöpfe trüben, mein Bewußtsein verschleiern, mir meine Sinne rauben? Doch nein, das ist nicht nötig, denn alles ist generalstabsmäßig vorausgeplant und minutiös vorbereitet. Der Wein soll nur meine Sinne schärfen und meinen Verstand aufmuntern. Merci. Hinein in die Visionen eines hessisch, nordbadischen Familientreffens.
Die Fenster in der Küche sind beschlagen und im Dampf vor ihnen wird probiert, gekostet und gewürzt. In einer Ecke schichten sich aufgetürmte Baguette vom Kettenbäcker. Am Anrichttresen bestreicht Anke die bereits gerösteten Brotscheiben mit der Oliven-Fisch-Paste, streut einzeln kleine Kapern und gehackte Petersilie darauf. Vor meiner Ankunft war schon eifrig gewerkelt worden. Der Photograf und Winzer in Personalunion kann sich von unserer Köchins Anblick kaum lösen, was hoffentlich den Auslöser seines Apparates nicht einschnappen läßt. Zumindest er hat den Prozess der Brotaufstrichwerdung im Kasten. Es muß richtig belichtet werden. Wie beim Wein nicht alles dem Zufall überlassen. Konzentration. Sein leichter 2008er Silvaner Classic (vom Weingut H.Freiberger ohG in Heppenheim) passt vorzüglich zu den Crostinis. An der Wand entdecke ich ein Bild voll unterschiedlichster Korkenzieher. Auf dem Herd wabert es in Kochtöpfen älterer Facon. Es sieht fast aus wie in einem klassischen Landgasthof früherer Provenience.
Die dunkelgrüne Tischdecke im Wohnzimmer auf dem Esstisch unterstreicht eine leichte Forsthausstimmung. Es fehlt der kurzbeinige Dackel, des Jägers kleine Bracke. Doch geht es weder wild zu noch gibt es Wild zu essen. Der Hausherr ist in Frankfurt aufgewachsen: „Ich fühle mich als Hesse.“ Und das ohne Glasperlenspiel? In der Nähe seines elterlichen Ferienhauses ist Matthias ins Internat gegangen, bis es ihn später nach München zog, wo er Anfang der 70er – Jahre die etablierte Tonkonservenmarke ENJA gründete. Wir sprechen über Oscar Pettifords Aufenthalt in Baden-Baden, von dem einst Joachim Ernst Behrend berichtete. Matthias erzählt sogleich vom autobiographischen Buch (unterstützt durch Neuburgs Jazzguru und Jazzclubleiter Manfred Rehm) von Heinz Protzer über Attila Zoller, der bei ihm zuhause ein und ausging. Ich erinnere mich sogleich an eine Vinylscheibe von Attila Zoller mit Ron Carter und Joe Chambers…..
Anke entschwindet in die Küche und erscheint wenig später mit der zweiten Ladung Crostinis. Dieses Mal „alla napoletana“. Bene. Wir kommen auf Frauen in der Küche zu sprechen, auch Sterneköchinnen wie Lea Linster oder Anna Matscher. Die ganzen famosen Kochbuchautorinnen, die weit weniger wahrgenommen werden wie ihre männlichen Kollegen. Tja, ein Männerberuf, sich wandelnd. Was sollen nun all die hart zuhause arbeitenden Frauen sagen, die unverdrossen und ausdauernd fürs leibliche Wohl der Familie sorgen bzw. gesorgt haben. Auch diese Struktur ist in großem Umbruch. Domänen verschieben sich. Wie sagte ein mir freundschaftlich zugewandter Sternekoch vor einiger Zeit zu mir: „Frauen in der Küche erhöhen den Intelligenzquotienten“. Gemach, gemach. Anke lockt mich zum Topf mit der Kürbissuppe um mir von ihrem Rezept zu erzählen, das sie sich für heute ausgedacht hat: eine Mixtur diverser Kochbuchrezepte, gewandelt im Laufe der Zeit und von Suppe zu Suppe. Es ist servierbereit, von der Tastenfrau händisch mit abgerahmter Kokosmilch, frischen Korianderblättern und gerösteten Kürbiskernen angemacht. Die Kürbissuppe scheint davon angetan zu sein und geizt nicht mit exotischem Parfüm. Sehr delikat mit leichter Schärfe. Alle Tischmitglieder löffeln die Teller mit Vergnügen leer.
Begeistert berichtet Matthias sodann von den Wildschweinwürsten des lokalen Jägers: „Nur die sind spitze !“ Anekdoten zu Karl dem Großen machen die Runde: „Wir befinden uns in der absoluten Nähe seines ehemaligen Jagdgebietes“.„Die Spiegelserie in den 90er-Jahren über ihn war faszinierend“ erzählt der Wahlmünchner und springt gleichzeitig auf um in der Küche nach dem Rechten zu sehen. Mit dem Kaminknistern im Ohr folge ich ihm ins Reich des Garkochens. Die Kalbsbäckchen haben lange genug vor sich hingeschmort und der Steckrübenkartoffelstampf ist schnell abgeschmeckt. Die Butter – das Hüftgold der Geschmackliebenden – löst sich im Nu darin auf.
„Wolfi, wir brauchen jetzt den Weißburgunder“ tönt es vom Herd gen vermutetem Aufenthaltsort des Weinmachers. Die Hauptspeise naht der Vollendung. Plopp, und der Korken ist aus der Flasche. Ein 2007er Heppenheimer Maiberg, Weißburgunder Selection wird eingeschenkt. Auf dem Teller tummelt sich der Stampf, die Backe und der Mangold. Ein Triumphirat des Tonträgerproduzenten.“Das isst der Metzger normalerweise selbst“. Unsere Backen kauen mürbes Backenfleisch. Wohlbekomms ! Unterdessen hält ein bißchen Weinkunde Einzug: „Silvaner bot Ertragssicherheit und war Hauptanbautraube früher an der Bergstraße“berichtet der weinbauende Photograph.“Der Klimawandel ist eindeutig spürbar. Mittlerweile gibt es Gottesanbeterinnen (die einzigen in Mitteleuropa vorkommenden Fangschrecken/Anm. der Red.) an der Bergstraße.“ Das klingt nach Ablösung der Silvanertraube durch süditalienische Sorten wie Greco und Gaglioppo…..
Von sonnenverwöhnten Weißweinsorten zum gebratenen Apfel. Seltsame Erinnerungen durchdringen mein Hirn: als Jüngling strandete ich einst an der unheilvollen Melange von Bratäpfeln und Feuerzangenbowle….zu Hilfe ! Nein, zurück in der Realität, beruhige ich mich sofort beim Anblick von auf den Äpfeln drapierten Butterstückchen. Einige Zeit später, bei zufrieden dreinschauenden Gesichtern, erhellt sich Ankes Blick. Sie geniesst sichtbar ein kleinen Glas Riesling 2004er Heppenheimer Eckweg, ein Eiswein mit besänftigenden 8%. Der intensive Traubengeschmack passt perfekt zum Nachtisch und hinterläßt eine erfrischende Fruchtsüsse auf Zunge und Gaumen. Ideal nach der kälbernen Backe. Der Winter kann kommen, wir sind gewappnet.Des Autors Empfehlung:
Als ich ihn dieses Jahr zum ersten Mal traf, mußte ich schmunzeln, ob seiner nach Äpfel erinnernden roten Bäckchen. Ein stolzer Pomologe, der für seine Äpfel durch dick und dünn zu gehen scheint. Das Boomgarden-Projekt von Eckart Brandt sammelt und erhält seit 1985 alte und regionale Obstsorten aus Norddeutschland und speziell aus dem Niederelberaum. Hier werden Sie fündig auf der Suche nach guten Äpfeln und famosem Apfelsaft. Brandtäpfel statt Bratäpfel.
Boomgardenshop
Eckart Brandt
Im Moor 1
21712 Großenwörden
fon +49-4775-538
www.boomgardenshop.de
eckart-brandt@web.de
Anke Helfrichs Rezepte:
Crostini al tonno für vier Personen
Zutaten:
100gr schwarze Oliven ohne Stein, 2 EL Pinienkerne (geröstet), 25 Sardellenfilets, 100gr Thunfisch (naturell, also ohne Öl etc.), 1 EL Tomatenmark, 4 EL Olivenöl, eventuell noch etwas Butter, Kapern, eingelegte und abgetropfte Tomaten, Petersilie, Salz, Pfeffer, Brot nach Belieben z.B. Baguette
-Brot mit Olivenöl bestreichen und bei 200° ca. 5 Minuten rösten
-alle Zutaten mischen und pürieren, dann mit der Masse die Brote bestreichen
-mit Kapern und Petersilie dekorieren (eventuell auch Pinienkernen)
Crostini alla napoletana für vier Personen
Zutaten:
Brot nach Belieben, 4 EL Olivenöl, 250gr Mozzarella, 8 Sardellenfilets, 2 mittelgroße, reife Tomaten, Pfeffer, frischer oder getrockneter Oregano, frisches Basilikum
-Backofen auf 180° vorheizen
-Brot auf beiden Seiten mit Öl einpinseln
-Tomaten in Scheiben schneiden und auf die Brotscheiben legen, pfeffern, eventuell auch etwas salzen
-Sardellen darauf und Mozzarellascheiben
-mit Olivenöl betropfen und ca. 10 Minuten in den Backofen
-mit frischen Basilikumfetzen bestreuen
Kürbissuppe fernöstlicher Art für vier Personen
Zutaten:
500gr Hokkaido-Kürbis, 1 Zwiebel, 2 Kartoffeln (festkochend), 1
Knoblauchzehe, 1 großes Stück Ingwer (gerieben), 400ml Kokosmilch,
400ml Gemüse – oder Geflügelbrühe, 1-2 TL rote Currypaste, etwas
Zucker, 1 Prise Zimt, Kardamon und Kurkuma, 1 TL Currypulver, etwas
Zitronengras (ev. -paste) 1 Zitrone, frisches Koriandergrün, geröstete
Kürbiskerne, Salz, Pfeffer
-Kürbis würfeln und mit der kleingehackten Zwiebel und dem Knoblauch
glasig andünsten
-gewürfelte Kartoffeln, Currypaste und -pulver, sowie den Ingwer beigeben und dann mit Brühe aufgießen
-alles langsam köcheln und weichgaren
-mit Kokosmilch aufgießen und den Gewürzen und der Zitrone abschmecken
-alles fein pürieren
-gehacktes Koriandergrün unterheben und mit den Kürbiskernen und Kokosmilchrahm garnieren
Bratäpfel für vier Personen
Zutaten:
4 Äpfel, 75gr Marzipanrohmasse, 2 EL geröstete und gehackte Haselnüsse, 2 EL geröstete Mandelstifte, 2 EL Orangenlikör, 2 EL Rosinen (in Orangensaft + Likör geköchelt, zusammen mit etwas Kardamon und Zimt), Puderzucker, etwas Butter, Vanilleeis, eventuell auch Preiselbeerkonfitüre
-Marzipan mit Nüssen, Rosinen und Orangenlikör verkneten
-Äpfel waschen, Kerngehäuse ausstechen, Äpfel füllen und seitlich in der Mitte waagrecht mit einem Messer rundum einen Kreis schlitzen
-Form einfetten, die Früchtchen nebeneinander setzen und mit Butterflocken versehen und ca. 30-40 Minuten in den Ofen
-Bratäpfel mit Puderzucker bestäuben und mit Vanilleeis und einem Klecks Preiselbeerkonfitüre nach Wunsch servieren
Matthias Winckelmanns Hauptspeise
Kalbsbacken
Zutaten:
1 Kalbsbacke pro Person, gehacktes Suppengrün, 2 Gläser Riesling, Kalbsfond,
-Suppengrün anbraten und mit 1 Glas Riesling ablöschen
-den Vorgang wiederholen
-Kalbsbacken beidseitig anbraten, das Gemüse dazulegen, mit Kalbsfond ablöschen; alles sollte mit Flüssigkeit bedeckt sein
-1-2Stunden auf leise Flamme schmoren
-Fleisch herausstechen
-das Gemüse abfiltern oder durch eine „Flotte Lotte“ drehen und die Flüssigkeit zur Sauce einkochen lassen
Steckrübenkartoffelstampf
geschälte Steckrüben, geschälte Kartoffeln in gleicher Menge, Butter, Milch, gehackte Petersilie, Salz, Pfeffer
-Kartoffeln und Rüben separat kochen (Garzeit der Rüben ca. doppelt so lange !)
-zerstampfen und Butter, heiße Milch und gehackte Petersilie einrühren
-salzen und pfeffern