Jazz Cooks 57, Teil 2

Noch Meer Rebekka !

Schon die ersten von Rebekka Bakken mit selbstimportierten Meeresspezialitäten und frisch am Wiener Naschmarkt gekauften Köstlichkeiten bereiteten Gänge hatten unseren Chef-Gourmet in Begeisterung versetzt. Mit den folgenden Speisen und Weinen sollte sich die norwegische Sängerin nochmals selbst übertreffen. Zum Glück hat sie Dieter Ilg damit nur fast sprachlos gemacht – zu gekonnten Wortspielen war er noch immer fähig.

Chickenmousseburger. Damals in New York City. Ein Gedicht in meiner kulinarischen Erinnerung, die mitunter einige Kapriolen schlägt. Nicht in diesem Fall. In den Bann gezogen von perfekter Großmenge an Hühnerfett, wabert in meinem Darmhirn einmütige Zufriedenheit wenn ich an die Verspeisung dieser hausgemachten Fastfood-Verkörperung denke. Andererseits muß ich nur gelegentlich nach unten oder in den Spiegel schauen, um leicht versteckte Restdepots gut angelegten Specks zu erspähen. Mein persönliches Aktiendepot. Mit mir könnte man Gänseschmalz stehlen…..oder in Schweineschmalz Gebackenes entführen und Lösegeld verlangen, auszuzahlen in Butterbergen statt Wareneuros. Naturalienhandel statt schnöden, unsinnlichen Leerkäufen….
Doch nicht erst beim Einkaufen sondern mit dem Erhalt der Einkaufsliste zur Einsichtnahme und Erörterung schwant mir ein meerwertiges Essen, mit vornehmlich nordeuropäischen Wasserbewohnern als Einweißlieferanten im spätsommerlichen Wiener Herbst. Die Kühle des nahenden Winters sehnend. Dazu verführt uns kein erfrischendes blondes (Bier), sondern eine gefühlsbetonte Norwegerin. Eine Dame ihresgleichen.Unsere verabredete Begegnung am Rande des Naschmarkts hält manchen vor rot wartenden Autofahrer ab, bei grün der Ampel loszufahren. Entgeisterte Wiener. Immer noch besser als kalte Frankfurter (Wüstchen), oder ungewürzte Thüringer wie Nürnberger (Rostbratwürste). Fett beiseite, Vorfahrt für Eiweiß. Fischiges.
Doch zuvor und zuallererst zu Rebekkas Lieblingssommelier in Österreichs Hauptstadt, einem französischen Austernöffnungsenthusiasten aus der Normandie. Jener arbeitet bei Wein&Co in der Filiale am Naschmarkt und beriet unsere Küchenchefin in ihrer Weinwahl, die genauestens nach Rebekkas Gusto abgestimmt sein sollte, um mit den unterschiedlichen Speisengängen zu harmonieren. Wohl geplant. Feinjustierung von Begleitflüssigkeiten. Welche Nahrungsmittel sind so schirch, daß sie sich auf diese Gabe nicht freuen würden ?

Mit prallen Tüten und Kartons jonglieren wir uns durch die Menschenmengen. Es riecht nach Pferdeäpfel, aber kein Fiaker weit und breit. Ist das regionalspezifischer Biodiesel oder eine olfaktorische Fata Morgana ? Keine Burka in der Burggasse. Zuviel verkaufte Pferdeleberkässemmeln ? Au Backe, die Tütengriffe und Taschenhenkel bohren sich in mein Handfleisch, ich konzentriere mich aufs Ausatmen, den Schmerz in die Welt blasend. Was kann das für ein Schmerz sein, wo auf der Welt zu Tode gehungert wird und gleichzeitig soviel Nahrungsmittel im Abfalleimer verschwinden, daß es von der Menge her reichen würde, alle Menschen auf diesem Planeten zu ernähren. Wir stoßseufzen durch die Schleifmühlgasse.

Noch drei Stockwerke, noch zwei, noch eines, wir nehmen all unseren Mut zusammen und läuten Sturmglocken. Wolfgang Muthspiel öffnet uns die Pforte zu seiner Heimwelt. Schnurstracks in die Küche bevor die Arme am Boden schleifen. Der gastgebende Gitarrist schleift scharfe Messer statt weiche Fingernägel.
Wir fallen uns in die Arme. Kein Beckmessern allerorten. Die Küche wartet auf die Künstlerin, der Abend beginnt. Mit einem kalten, mineralwassergetränkten Aperol. Ein Auftakt zu meinem Plaisier, da ich mich diesen Sommer nahezu verliebt habe in dieses (italienische) Kultgetränk. Eiswürfel schmelzen. Beloved.

Die ausgepackten Utensilien stapeln sich auf dem Küchentisch. Sortierung und Orientierung ist angesagt. Rebekka läßt sich die Schürze von Wolfgangs Partnerin Christa, ihrerseits Gemälderestauratorin, umbinden. Das passt ins Bild, hat Stil und legt respektvolle Kompetenz und keine Starallüren an den Tag. Auch eine Schürze kleidet. Schürzenjägerinnenblues. Siehe auch www.schürzenjägerin.de

Was es nicht alles gibt. Und vorallem was es alles gibt.
Rebekka widmet sich konzentriert der Vorspeise, nennen wir ihn „Toast Kaviar a la Bakken“. Wie Rebekka meint: ein Familienrezept. Feingekörnter Kaviar (Lodderogn von den Lofoten), Creme Fraiche, gehackte rote Zwiebeln, Dill und Toastbrot sind im Spiel. Die Pfanne kriegt entzündete Gashitze von unten.“You have to roast the toast with butter. It keeps it rösch (österreichisch = knusprig)“ ist von der Chefin mit entschiedener Gestik zu vernehmen. Hm, es duftet nach karamelisierten Röststoffen. Im Nu ist das Werk vollbracht. Der orangene Fischrogen glänzt in fester Farbe. Die Weiche des Kerzenlichts schafft Aura. Gelbtöne. Draußen rumort der warme September, auch in der Nacht. Bereits Richard Strauß hatte eine Faible dafür. Drinnen setzen wir uns alle gemeinsam an den Tisch und zelebrieren den Menübeginn. Rebekka stellt den ersten Wein ihrer Wahl vor: Riesling vom Gaisberg / 1.Lage, 2010er Kamptal Reserve vom Weingut Schloss Gobelsburg.

Nach einem ersten Schlucke werden Gabel und Messer gezückt oder mit der nackten Hand dem Toast auf den Leib gerückt. Das Brot knuspert, die Gegensätze der Zutaten vermengen sich zu einem äußerst reizvollen, homogenen Gesamteindruck. Sappradi, das passt. Mein lieber Herr Gesangsverein ! Noch ist es nicht soweit, dafür sind alle zu nüchtern und abgelenkt vom Genuss. Vergnügen allerseits. Ein formidabler Start.
Zurück in der Küche ist erst einmal Zigarettenpause angesagt. Währenddessen nehme ich das Rogengläschen unter die Lupe. Lodderogn Masago Orange lese ich in großen Buchstaben, das Kleingedruckte überlese ich beflissen. Gut vorstellbar ist natürlich auch anderer Kaviar z.B. von Seehase, Lachs, Forelle, Saibling, Hecht, Maräne und Stör. Alles abhängig von Geldbeutel, Vorlieben und Ausprobierlust wie Verfügbarkeit. Die Größe der Eier ist nicht ganz vernachlässigbar, desgleichen Geschmack und Konsistenz. Ach.

Dieses war der erste Streich und der zweite folgt sogleich. Klopfen wir auf den Busch, um herauszufinden, was es mit der geapfelten Austernsuppe auf sich hat. Ein Apfel kann adeln, z.B. ein vitaminreicher Berlepsch oder ein norddeutsches Prunkstück namens Finkenwerder Herbstprinz. Ohne Fehl und Tadel. Rebekka schwört für diese Suppe auf die Sorte Granny Smith. Grün ist die Farbe der Hoffnung. Und die besteht darin, sich beim Öffnen der Austern nicht das Austernmesser in die Hände zu hauen. Blut wollen wir keines sehen. Jeder darf mal ran. Die erste selbstgeöffnete Auster, mein linker Daumenballen zittert. Vertrauen in die Vorsicht steigert ab und an die Konzentration aufs Wesentliche.
Rebekka bemustert jede geöffnete Auster mit Auge und Nase. Kontrolle ist unabdingbar. „Für vier Leute 10cm Staudensellerie“ beschreibt die Sängerin. „Wir brauchen jetzt einen knackigen Wein dazu“. Die geknackten Austern lächeln imaginär. Die angeschwitzen Zwiebeln duften herrlich. Der Zauberstab kommt zum Einsatz. In die pürierte Suppe schüttet Rebekka vorsichtig die kleingeschnittenen Apfelstücke. Fertig. Im zartrosa Tellerporzellan dampft es feinst. Ein zurückhaltend aber bestimmender Austerngeschmack tanzt im Mund sanfte Wegfolgen. Die Festigkeit der Apfelstücke bildet den Gegenpol. Rebekkas Familienrezepte trumpfen auf. Chapeau !
Was kredenzt uns die universale Edelfrau für einen alkoholischen Traubensaft dazu ? Neugierde steigt auf. Mit Betonung und Akzent auf die zweite und dritte Silbe. Ein Grüner Veltliner, Gottschelle 1.Lage, Kremstal Reserve 2010er vom Stift Goettweig (Das Weingut der Benediktiner). So wie Wolfgangs Gesicht strahlt, trifft das genau seinen Geschmack. Mönche im Spiel. Wir recken die Hände gen Himmel. Rebekka lacht lauthals, Wohligkeit türmt sich auf. Wie soll das noch gekrönt werden ? Das erfahren Sie in der nächsten Ausgabe mit Krebsen von Frøya, einem wilden Salatmix aus mütterlicher Hand mit diversen Dipps und einem Nachtischangebot, das sich gewaschen hat.

„Toast Kaviar a la Bakken“
Toastbrotscheiben in Butter von beiden Seiten braten. Crème Fraiche darauf verteilen und einen großen Klecks Kaviar auflegen. Hernach die Zwiebeln darüberstreuen und mit etwas Dill zuoberst servieren.

Feinkörniger Kaviar
Crème Fraiche
Rote Zwiebeln, gehackt
Toastbrot
Dill

„Geapfelte Austernsuppe“
Butter, Sellerie und Schalottenzwiebeln sautieren. Anschwitzen bis es Farbe annimmt und den Wein dazugießen. Zum Kochen bringen und Milch dazugeben, desgleichen Schlagrahm und Bouillon. 1-2 Minuten köcheln lassen und mit dem Stabmixer pürieren. Austernflüssigkeit durch feines Sieb filtern und zusammen mit dem Austernfleisch und der Butter in den Topf geben und das Ganze wieder mit dem Stabmixer pürieren bis sich alles zerkleinert und aufgelöst hat. Mit weißem, gemörsertem Pfeffer würzen. Die fein gewürfelten Apfelstückchen in die tiefen Teller legen und portionsweise die Suppe darübergießen.

10cm feingeschnittener Staudensellerie
2 große, kleingehackte Schalottenzwiebeln
1 EL Butter
1 dl Weißwein
2 dl Milch
1 dl Schlagrahm
1⁄2 Würfel Fischbouillon
5 Austern
1 EL gesalzene Butter
1 klein geschnittener (geschälter) Apfel

Empfehlung vom Autor:
Lust auf Rheingau Riesling ? Qualitätssekt statt billigem Supermarkt-Champagner ? Dann probieren Sie einmal die gereiften Flüssigkeiten des Weingut Peter Jakob Kühn. Mittlerweile Demeter-zertifiziert. Begrünungseinsaat, vollwertiger Kompost und Heilkräuterauszüge sind im Dienst und lassen Pestizide und Botrytizide, Sorbinsäure und Ascorbinsäure, Glucanasen, Kaseinat, Gelatine etc. außen vor. Letztere die Büttel der Weinmanipulation. Nur so ist Wein auch für leibhaftige Veganer geeignet. Ein Winzer, der seinen Weg geht und von Eichelmännern und Parkern nicht unentdeckt geblieben ist. In der Stille ruht die Kraft. Probieren Sie den Riesling Sekt brut sowie den Spätburgunder Rosé Sekt brut.

Weingut Peter Jakob Kühn, Mühlstraße 70 , D-65375 Oestrich-Winkel, fon+49-6723-2299, fax -87788, info@WeingutPJKuehn.de, www.weingutpjkuehn.de