Jazz Cooks 60

Weniger isst Meer

Ölblatt zu Ölblatt. Ich will kein Öl ins Feuer gießen, nur, wenn ich mir den Speiseölmarkt so anschaue, schüttelt es mich kräftig. Was treibt mich zu diesen Gedanken, auf meinem Weg zu Peters Zuhause ? Ich bin in der Stadt, in der sich – wie in Brüssel – mehr Lobbyisten in Parlamentsnähe aufhalten als Politiker. Ein kurzer Diskurs in die Geschichte der Speiseölgewinnung, in der die deutsche Hauptstadt – genauer gesagt, das dort regierende NS-Regime – einiges zum Verschwinden handwerklich arbeitender Ölmühlen beitrug. Bis zum Anfang der 1930er Jahre hatte nahezu jedes Dorf wenigstens eine Ölmühle. Öl war seither ein wertvolles Frischeprodukt, hat es seine ernährungsphysiologischen und spürbar besten Wirkungen doch während der ersten 4 (!) Wochen nach dem Pressen. Durch die Inbetriebnahme der ersten großtechnischen Speiseölraffinationsanlage (1933) und das Volksfetternährungsgesetz des Dritten Reiches (1937) kam die Ölmüllerei abrupt zum Stillstand. Und heute wird das auf dem Markt angebotene Speiseöl fast ausschließlich industriell produziert. Die Industrie wiederum kontrolliert die Fettforschung. Ein Schelm der schlechtes denkt ?
Größtes Misstrauen ist angebracht bei vielen Speiseölangeboten, die im Supermarkt in den Regalen mit Mindesthaltbarkeitszeiten ausgezeichnet sind, die dem Öl als ursprünglichem Frischeprodukt spotten. Da kann man nur einen großen Bogen drum machen und sich um Alternativen bemühen, so mann und frau denn will. Mein Ihnen gerade anvertrautes, bescheidenes Wissen stammt von Walter Bitzer, einem kämpferischen Fachmann und Meister des Speiseölhandwerks: www.oleofactum.de
Auch in dieser Hinsicht gilt: Weniger ist mehr.

Peter ölt sich die Hände und reibt damit die halbierten, ungeskalpten Kartoffeln ein. Anschließend gibt er die behandelten Erdäpfel auf ein mit Backpapier belegtes Backblech.
Saxman gefrierkühlt die Kräuter und wringt sie über die wartenden Kartoffeln.
Er läßt den Bauchspeck in Olivenöl aus, nimmt ihn dann aus der Pfanne und gibt die Zwiebeln ins Speckfett des runden, gußeisernen Topfes. Nach Garung werden auch diese Lauchpflänzchen herausgenommen.

Mülltrennung im Hause Weniger bedeutet nicht weniger Mülltrennung, sondern eine säuberlich aufgeteilte Menge, welche sich für die sammelnden Müllverwerter besser verwerten läßt. Erst mehr Verwertung bedeutet weniger Müll. Verstanden ? Cradle to Cradle als Ziel ?

„Ich halte nichts von der Meinung, Fleisch nicht vorher zu salzen“. Nun, diese Aussage lasse ich stehen. Das müsste differenziert werden. Aber nicht jetzt und in diesem Moment, in dem ein Geräusch ertönt, welches ein kühlendes Getränk assoziieren läßt. Isabel, Peters Frau, reicht ein Glas Cremant d´Alsace, Paul-Edouard, brut, www.bott-geyl.com.
Zuprostend zurück zur Fleischverwertung.
Peter salzt und mehliert die großen, gewürfelten Rinderstücke. „3x3cm mindestens“ vernehme ich. Das Mehlieren dient zum Aufsaugen des Wassers und der nachfolgend besseren Bräunung des Anröstmaterials.
Isabel schaut mit wachem Auge über die Schulter des werkelnden Tenoristen. „Das wird eine Daube a la Isabel“ entfährt es dem Gatten.

Ursprünglich wurde werktags am Morgen der Topf für die Daube gefüllt und auf den Ofen oder in den Herd gestellt. Bei kleiner Flamme garte das Fleisch wenigstens 8 wenn nicht sogar 12 Stunden, je nachdem wie lange der Arbeitstag aussah. Einzige Voraussetzung war, daß die Hausfrau oder Köchin beständig das Schmorgericht mit regionalem (logisch) Rotwein ablöschte.
Eine Daube (nach franz. „dauber“ = „schmoren“), ist eine spezielle Art der Ragoutzubereitung, die typisch für die Provence ist. Hergestellt mit Wildfleisch, vornehmlich Wildschwein; oder eben mit Rind, Lamm etc.
Daube wird oft wie eine Suppe – meistens einfach mit Brot – gegessen.

Der Duopartner David Friedmanns knöpft sich für die Vorspeise nun den gewaschenen Rukola vor und entfernt den unteren Teil der Stängel. Für die Vinaigrette bevorzugt er Dijonsenf und Blütenhonig.

Neuerdings hat fertige Balsamicocreme Einzug in die Haushalte genommen. Ich mag sie nicht. Zuviele künstliche Zusatzstoffe. Lieber nehme ich stattdessen einen erstklassigen Balsamico und füge Süße durch Ahornsirup hinzu. Wem die Konsistenz wichtig ist, muß den Balsamico bis zur gewünschten Dicke einkochen. Je besser der Balsamico, desto weniger Puderzucker oder andere Süße muss beigegeben werden.

Peter filetiert die Limette und quetscht die Restfrucht zum Heringsrogen. „Den sollte man im Sieb abspülen, da er manchmal in sehr salziger Lake eingelegt wird“. David, mittlerweile eingetroffen, macht sichs am Küchentisch gemütlich. „Da bin ich ja gerade richtig gekommen“ läßt er verlauten, in Anbetracht der angerichteten Vorspeise. Kein Trachinus Vipera, auch Petermännchen genannt. Statt Eier vom Stör, Eier vom Hering. Die bezahlbare Alternative. Funktioniert auch mit frischem Forellenrogen. Das wäre die Süßwasseralternative. Stört keinen.
„Ich hätte gern noch ein wenig mehr“ höre ich mich sagen. Es dauert nicht lange, und ich komme dagegen nicht an, bis es in mich fährt, unaufhaltbar: „Weniger isst Meer“ Geschrieben verständlicher denn gesprochen……

Während die Daube vor sich hin simmert, widmen sich die beiden Protagonisten dem Dessert. „Ein Winternachtisch“ meint Peter und instruiert seinen Bühnenpartner zum Stampfen. Klingt in der Vorstellung martialischer als in der Realität, in der David die Amaretti-Plätzchen in einem durchsichtigen Plastikbeutel mit einem Wasserglas vorsichtig zu Grieß zerstößelt. „Für die Geschmeidigkeit“ murmelt Peter und hantiert mit Quark, Zucker und Milch. Eine Schichtspeise für jede Schicht. Ein deutscher Klassiker. Gottseidank kein Schichtsalat.
Isabel philosophiert über das Sonntagskochen, bei sich zuhause in Frankreich. Die Wirkung des stundenlangen, gemeinschaftlichen Kochens, bis selbst die Kinder vergnügt und seelig von sich aus erzählen.
Doch erst einmal steht die Hauptspeise an. Der Tisch im Wohnzimmer ist gedeckt. Peter serviert die Kartoffelhälften, die Bohnen und natürlich die Daube mit den Worten: „ In Arles gibt es dieses Gericht am Tag nach dem Stierkampf in der Arena. Es wird aus dem Tier zubereitet, das den Kampf verloren hat“. Heiliger Strohsack. Darwin läßt grüßen.
Betäuben wir unseren Geist ein wenig mit einem Rioja Reserva 2007 von Remelluri. „Vom spanischen Weinladen in der Knesebeckstraße“ fügt Peter hinzu. Naja, 94 Parkerpunkte sind schon eine Trophäe in den Zeiten der Etikettentrinker. Wir sind keine und unterwerfen uns nicht dieser Etikette….lieber Charlie Parker als Robert Parker.

Im Hintergrund tönt Louis Armstrong, als nach der Schichtspeise, ein kleine Käseplatte durch die Runde kreist. Ein blauschimmliger Saint Agur, einen mittelreifen Crottin de Chavignol (von der Ziege), ein halbfester Saint Nectaire aus der Auvergne, ein Chaource und ein Appenzeller. Letzterer „statt eines Beaufort“ betont Peter. Der gemütliche Abend unterm Dach endet mit einer Digestiv-Wahl. Steinhäger, schottischer Glenfarclas oder ein Viriana ChinaChina Likör ? Peter erklärt die Notwendigkeit der Zumischung von Wasser in den Whiskey, zur Trinkbarmachung und Genussfreude.
Ich begnüge mich mit einem Schluck des Orangenbitterlikörs. Das Leben kann süß sein.

Rezepte des Gastgebers:

150 gr Heringsrogen
eine Handvoll frisch geriebenen Parmesan
ca. zwei Limetten
Pfeffer

Heringsrogen in eine Schale geben (ggf. im Sieb abspülen, da er manchmal in sehr salziger Laake eingelegt wird). Den fein geriebenen Parmesankäse untermischen (der Parmesankäse muß sichtbar sein….). Nun den Saft einer Limette über der Masse ausdrücken und einige Limettenfilets kleingeschnitten in die Masse unterrühren. Mit Pfeffer abschmecken.
Dazu Rukola-Salat mit angerösteten Pinienkernen und einer Vinaigrette aus
Balsamicoessig, Sojasoße (nicht zu viel), ein wenig Joghurt, Honig, Pfeffer, Senf und Olivenöl.

„Daube á la Isabel“ (Rezept für ca. 6 Personen)

Vorbereitungszeit: 30 Min / Kochdauer: 3 bis 4 Stunden

Großer Topf (vorzugsweise Gusseisen) mit Deckel
1,5 kg Rindfleisch (Schmorfleisch….), Rindergulasch
200g Bauchspeck (durchwachsen)
6 Zwiebeln
4 Knoblauchzehen
1 Stange Porree (=Lauch)
3 Tomaten
3 Pflaumen
ca. 5-6 Trockenpflaumen (entkernt)
6 Karotten (Bund)
Lauchzwiebeln
Wacholder
Salz
Pfeffer
Cayennepfeffer
Mehl
1/2 Glas Kirschlikör (vorzugsweise selbstgemacht)
Olivenöl
1 Liter starker guter Rotwein!

Zubereitung:
Die Zwiebeln grob schneiden (vierteln oder achteln), dann im großen Topf anbraten (Röstaromen), aus dem Topf nehmen und beiseitestellen.
Im selben Topf Bauchspeck anbraten, aus dem Topf nehmen, beiseitestellen
Fleisch in 2x2cm große Stücke schneiden, mit Mehl bestäuben, dann in dem Topf anbraten. Das Gemüse schälen und vorbereitend in kleinere Stücke schneiden. Nun alles zum angebratenen Fleisch in den Topf geben…. die Zwiebeln, den Bauchspeck, das Gemüse, die Pflaumen – alles!
Den Wein dazugeben….. ein wenig Kirschlikör hinein….Deckel drauf und nun 3 -4 Stunden köcheln (!!!) lassen – kleine Flamme !
Hernach mit Salz und Pfeffer abschmecken.

Als Beilage dazu:

Flageolets – französische Bohnen (am besten im Glas kaufen)
Inhalt in einen Topf geben. Knoblauchzehen hinzufügen, Rosmarin und Thymian (je nach gusto…) dazu, 10-15 Min. köcheln lassen und eventuell mit Salz und Pfeffer würzen. Dann zur Daube servieren.

Ofenkartoffeln:

Festkochende Kartoffeln halbieren (vorzugsweise große…!), mit Olivenöl „ummanteln“, mit kleingeschnittenem Knoblauch „beträufeln“! Rosmarin und Thymian in kleinen Mengen zufügen. Salzen!
Für 45 Min (bis zu einer Stunde) in den Ofen (200 bis 240 Grad!). Wenn sie leicht angebräunt sind, sind sie fertig!

Dessert (4 Personen)
2 Packungen Quark (40%) mit ein wenig Vollmilch „geschmeidig“ rühren. Je nach Geschmack Zucker hinzufügen (2 Esslöffel). Amarettini in einem kleinen Säckchen zerkleinern (zerbröseln). 500g Waldfrüchte (ruhig tiefgefroren) mit dem Mixstab pürrieren (nach dem Auftauen), einen Esslöffel Zucker hinzu-fügen, sowie den Saft einer halben Zitrone.
Anrichten in einem Glas, z.B. einen Fingerbreit Fruchtpüree, kleine Schicht zerstoßene Amarettini, einen Fingerbreit Quark, Amarettini, erneut einen Fingerbreit Fruchtpürree, abschließend Amarettini .

Empfehlung des Autors:

Hotel Otto
Knesebeckstr. 10
D-10623 Berlin
+49-30-54710080
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privat geführt, slow food – verbunden, hervorragendes Frühstück mit „Themen der Woche“. Zum Beispiel „Berlin“ mit Buletten, Bratkartoffeln, Mini-Berlinern…. Klassiker sind Pfannkuchen mit Kompott, sehr freundlicher Service.