Jazz Cooks 62, Teil 1
Vogelfutter I / Alfreds Vogelfutter – Folge 1
Bregenzer Wald – Weisen und Wiesen
Hm, ist es Im Märzen der Bauer, oder He, ho, spann den Wagen an ? Ist es Laßt uns all nach Hause gehen oder etwa Guter Mond du gehst so stille ? Aber nein, jetzt, endlich, kreucht der Titel aus den sprachvereinnahmten Furchen der Zunge: Alle Vöglein sind schon da !
Volkslieder im Radio. Aktivraum. Bregenzer Wald. Dort findet volkswirtschaftliche Wertschöpfung im Sinne nachhaltiger Landschafts – wie Kulturpflege auch von Seiten und mit der Gastronomie statt.
Doch noch nicht angekommen, duelliert sich das Radio mit den Wageninnengeräuschen, kämpfe ich mit der Sicht bei starkem Schneefall. Den Bodensee hinter mir gelassen, tuckert der Diesel das Bödele hinauf gen Hotel Post in Bezau im Bregenzer Wald. Mein erster Eindruck ist das eines familiären, lässigen Wellness-Sanatoriums a la Wellville. T.C. Boyles Geschichten hinterlassen einfach ihre Spuren. Davon wegzukommen, ist für mich fast ein Unding. Aber warum auch. Lara Flynn Boyle plays T.C. Boyle. Nicht verkehrt. Richtig ist auch, daß das im Hotel befindliche Haubenlokal von Freitag bis Montag geöffnet ist. Schade, es ist Mittwoch, und ich hätte gerne den Haubentaucher gespielt. Seufzen auf hohem Niveau. Im Kaminzimmer treffe ich mich wenig später mit Gastgeber Alfred Vogel zu einem Espresso. Plausch im Koffeinrausch.
Wälderness statt Wellness ? Der prachtvolle Gasthof Hirschen in Schwarzenberg unter der Leitung von DJ Franz Fetz. Ein Nachname als Lebensmotto in einer Gegend in der bereits Eduard Mörike die lärmenden Laute der Zivilisation ganz und gar nicht vermisste. Das Leben ist paradox: Seit mehr als einem halben Jahrhundert versaubeuteln uns Automobile wie Motorräder, Eisenbahn und Flugzeuge oder Laubbläser und Subwoofer – unter Bühnen wie in tiefergelegten Kfzs – fast alle Rückzugsstätten der Ruhe. Gesellschaftlicher Kollateralschaden. Gesellschaftiches Ereignis jedoch ist das alljährliche Schubert-Festival um den immer wiederkehrenden, berühmt-berüchtigten Helmut-Kohl-Imitator Thomas Quasthoff. Auf zur Schubertiade und beide Ohren beim Frühstück aufsperren. Oder abends ein 3-Gang-Menü einfahren und luftige Ländler, stampfende Polkas und anderes goutieren, bis die Fetzen fliegen: www.waelderness.at . Jeder nach seinem Gusto. Beim Plaudern über Hotelgäste und der Vergangenheit des Hotels, gibt es eine Buchempfehlung des Hirschenchefs aus erster Hand: „Der Tag ist hell, ich schreibe dir“ von Tanja Langer. www.tanjalanger.de
Gasthof Hirschen
Kunst.hotel nach waelder.art
Hof 14
A-6867 Schwarzenberg
fon +43-5512-2944-0
fax +43-5512-2944-20
„Kennst Du Frau Kaufmann“ werde ich gefragt ? Ein typisch Wälder Name wie mir scheint. Meine Neugierde ist geweckt.
Frau Kaufmann (www.fraukaufmann.at) hat ihre Einrichtung vom Europäischen Landwirtschaftsfond für den Ländlichen Raum fördern lassen, wie ein Schild an der Außenwand des alten Gasthauses in Egg bekundet.
Ihre Initiation natürlicher Art erhielt die Unternehmerin allerdings durch die eigene Mutter; so wie es sich gehört. Im Keller des „Engels“ befindet sich ein kleiner Kaufladen im ehemaligen „Fleischabhängeraum“ des Betriebes. Bei einer der Beschreibungen zu ihren Kochkursen verlautbart die Kochaffineuse, daß der wahre Wert und die Fleischqualität des Tieres nicht an dessen sogenannten edlen Stücken zu erkennen ist, sondern vor allem an den mit Fett durchzogenen Teilen. Genau, Fett schmeckt bzw. Fett macht den Geschmack oder im Fett zeigt sich der Gehalt. Zur Verdeutlichung soll ein Schweinefilet mit einer Schweinehaxe „verglichen“ werden.
Nach dem Credo der regionalen Küche benennt Frau Kaufmann die Produzenten, deren Lebensmittel und Waren sie selbst verwendet. Nach dem Motto: „Gute Zutaten sind meine besten Quellen“. Und Wasser labt ja bekanntlich. Die Weisheiten des Kochalltags wollen für jedermann und jedefrau wiederentdeckt werden. „Man braucht Geduld und reichlich Butter“. Ich liebe solche vermeintlich einfachen Sätze, die von der Realität in Fels gespült sind. Bei einem Gläschen Williams Christ spekulieren wir über die tatsächliche Herkunft der Käsespätzle. (siehe „ Der geschriefelte Haderer „, Jazzcooks Nr. 46)
Karin Kaufmann
A-6863 Egg
Buchenrain 339
fon +43-676-4954-144
Frohen Mutes zurück auf dem Autositz. Im Radio wird über subjektive Realitäten in Tageszeitungen und Fachblätter diskutiert. Ich versuche nicht hinzuhören. Keine Chance heute….
Es ist wahr, daß in unserer Medienwelt nur das oberflächlich einfach zu Verstehende beeindruckt und aufgenommen wird. Bedeutet doch der Weg zu Tiefgründigkeit und Differenziertheit oft, von einer bedrohlich wachsenden, „rohen“ Masse nicht wahrgenommen zu werden. Und was rohe Masse betrifft, akzeptiere ich persönlich nur ein Tatar von einem artgerecht aufgezogenen und geschlachteten Tier oder eben alternativ bestes Marzipan.
Nun, Objektivität, Subjektivität, alles ist relativ. Schubladendenken ersetzt den anstrengenden Versuch, sich mit komplexen Inhalten und der Mehrdeutigkeit auseinanderzusetzen. Auch Voreingenommenheit und eine damit einhergehende Prise Selbsthass gehören mit dem Schubkarren zum Kompost gefahren……weder ein Nietzsche noch ein Adorno haben die Wahrheit oder Weisheit gepachtet. Das einzige Recht in dieser Hinsicht, das ich jedem der beiden zugestehe ist das, ihre eigene Weisheit und Wahrheit zu pachten als das was sie ist: eine persönliche, eine eigene, eine einzige aus Milliarden. Ein Stern unter vielen.
Und des letzteren Vielzahl wird von den Gralshütern einer anderen Zunft, die der Gastonomiekritiker, gerne vom Himmel geholt, geputzt und gewichst wie hernach vergeben und versprochen. Eieieieieiei…….wieder ein Grund Alkoholiker zu werden ? Ein vorgeschobener, kokett eingefädelt. Tee aus getrockneten Walnussblättern unterstützt die Leberkräfte. Ausgleich suchend.
Langsam schwindet die Helligkeit des Tages, die Weiße des Schnees leuchtet von Minute zu Minute stärker, bis die Eiskristalle vollends die herrschende Macht der beginnenden Nacht übernehmen. Ein wenig Licht ins Dunkel bringen !
Wieder auf die Piste, ab nach Andelsbuch.
Eine Art Kunsthalle wie der Gasthof Hirschen ist der Kulturverein Bahnhof in der Station Andelsbuch der „aufgelassenen“ Wälderbahn. Betreiberin Margarete Broger gibt uns einen Überblick über ihre Aktivitäten und beschenkt mich mit reichlich Lesestoff und Hörmaterial aus der eigenen Edition. Ohne Sponsoren wie Subventionsgebern geht auch hier nichts. Wie auch, warum sollen Künste wie Musik und andere Dinge subventionslos existieren, wenn andererseits die zumeist industrielle Landwirtschaft mit Milliarden gepämpert wird und sogar die Lufthansa Millionen von EU-Subventionen einstreicht, weil sie auf ihren Flügen aus der EU landwirtschaftliche Produkte in Form von on-board-Menüs exportiert ?
Kulturverein Bahnhof
Kontakt: Margarete Broger
Brand 159A
A-6952 Hittisau
fon +43-664-2507789
Nun noch ein warmes Glas Wasser bevor wir uns verabschieden. Zurück nach Bezau. Ein Paar Schwimmzüge im Nass des Hotelbeckens, emails checken und damit beruflich „nach dem Rechten“ geschaut. Die Uhrzeit ruft zum Abendbrot. Ich werde im Speisesaal der Hotel Post (in der fünften Generation geleitet von Susanne Kaufmann) zu einem kleinen Abendmenü erwartet.
Kärtner Nudeln als Vorspeise, hernach ein Salätchen, Ziegenleber als Hauptspeise, Griesnockerl mit Beerenmus und Eis zum Dessert. Käse schließt den Magen“ geleitet mich als Aufforderung zur Selbstbedienung am Käseeckchen; ich treibe es garantiert nicht bis zum „ Käse verschließt den Magen “ mahnt ein neuer Gedanke.
Mir fällt die sperrig lederne Weinkarte auf, die mit fairen Preisen und natürlich vorwiegend österreichischen Weinen auftrumpft.
Der 2007 Morillon „November Rain“ vom Weingut Zweytick aus dem österreichischen Ratsch an der Weinstraße (www.ewaldzweytick.at
) stammt aus Südsteiermark. 25 Monate in Barrique aus französischer Eiche gelegen. Ein Angstblitz zündet durch meine Gedankenwelt: bei all dem Raubbau auf dieser Erde wird es neben entwaldeten Regenwäldern irgendwann auch keine alte französische Eiche mehr geben. Und unsere mechanistische Zeit beweist, daß es in der Weinzubereitung auch der Holzschnipsel tut. Irgendwann reichen dann Sägespäne und zuschlechterletzt wird Barrique-Geschmack auch noch synthetisch hergestellt. Offenes Ende.
Fahren wir fort mit dem Eröffnungssatz auf der homepage von Ewald Zweytick: „Schade dass man Wein nicht streicheln kann“. Ein hundertprozentiger Kurt Tucholsky.
Gespräche am Abendtisch über das Thema „Abhängigkeiten“. Wahrlich kein Dialog über abgehängtes Fleisch. Salvador Dalí (1904-1989) meinte einst: „Wer genießen kann, trinkt keinen Wein mehr, sondern kostet Geheimnisse.“
Später an der Hotelbar treffe ich noch einen Tagesgast, der gerne einmal im Haubenlokal mit seinem „braven“ Hund (unterm Tisch) speisen möchte. Und verlauten läßt, schon alleine wegen der Weinkarte gerne in die Post zum Logieren zu kommen. Solche Geschäftsleute sind ein Plaisier.
Wir stoßen gemeinsam an mit einem Trinkspruch von Bruno Prats, einst geschäftsführender Gesellschafter von Château Cos d’Estournel in Bordeaux: „ Weißwein ist das was man trinkt, bevor man Rotwein trinkt.
„Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Thor sein Leben lang“ wird dem sächsische Reformator Martin Luther, 1483-1546), seinerseits antisemitischer Polterer und Vordenker Richard Wagners, in den Mund gelegt. Schauen wir uns einmal die zweite Strophe des Deutschlandlieds an und zählen eins und eins zusammen…..
Im imaginären Radio streiten sich nun fleischlos und fleischunlos. Ohne Vorwarnung. Lieber gutes Pferdefleisch als Gammelfleisch. Deklariert ist beides nicht. Mehr als ein Fauxpas.
Nun, generell wie ungenerell bitte ich, mich von obsessiver Veganermission wie undifferenzierter Fleischfresserei zu verschonen. Ich kann beide Tendenzen nachvollziehen, mag sie allerdings nicht, insbesondere letztere ist mir ein Dorn im Auge. Naja, ein Dorn von vielen. Und ohne Dorn kein Dornröschen. Den nächsten Heinz Ehrhard Pseudoanfall kann ich unterdrücken…..und in der nächsten Folge geht’s unter anderem nach Dornbirn. Wohl bekomms.