Jazz Cooks 58

Jens Thomas – Frank und frei

Viel frankophil. Frank und frei, die südlichen Gefilde rufen; mitten in Charlottenburg. Und doch, kein puddinghaftes Gebäck a la Charlotte oder – dem russischen Klischeewetter gleich – eine kalte Malakofftorte. Schon gar nicht zu Anfang eines Abendessens. Brotlose Kunst wollen wir auch nicht, eher einen Korb handwerklicher Backkunst. Einen Kuchen gebacken hat uns Tastensänger Jens Thomas zwar, doch nur „nit hudle“ (badisch, praktisch, gut) und schön der Reihe nach.

Der Tisch ist gedeckt, ich sehe das ein oder andere cover entfernt liegen. Doch in greifbarer Nähe wird mir zuerst ein Glas Cava von Juve Y Camps, Cinta Purpurea, Reserva 2007 gereicht. Das perlende Getränk stammt im weitesten Sinne aus der Ecke, in der Jens und seine Frau Katrin ein Seminarhaus eingerichtet haben (www.seminarhaus-laforge.eu). Dort leiten sie Naturkräuterwochen wie Stimmkurse und bieten auch ein dazu gehöriges Ferienhaus an. Es hängt zwar noch kein Gerhard-Richter auf dem Anwesen in der Region Languedoc-Roussillon, aber zumindest ist genügend Platz vorhanden, die eigenen Stafetten aufzubauen und die Pinsel zu schwingen. Schon Goethe meinte zu sagen: „Man soll den Gegenteil hören, bevor man ihn richtet.“ Oder ein anderes Sprichwort, um in der musischen Richterei zu bleiben: „Ein Richter soll zwei gleiche Ohren haben“. Köstlich und wahr zugleich.

Laich eines Fisches wird es nicht geben zur Vorspeise, obwohl der Geruch des unterirdisch hergestellten Schaumweines geschmackliche Sehnsüchte danach hervorbringen möchte, zumindest in meinen Visionen. Ruchhaft wäre es nicht. Nun, mein Gedanke ist ruchbar geworden.

Es riecht nach Brot, ein leicht hefiges Fähnchen mit Röstaromen ist dezent zu vernehmen. Der Wahlberliner und Fußball-Afficionado, mit heimatlicher Neigung zu namhaften Vereinen wie Hannover 96 und Eintracht Braunschweig, hat mit knackenden Geräuschen die Teilung des Brots vorgenommen. Gerade in unseren Gefilden ist das tägliche Brot wie Brötchen zu einer der Sicherheiten im psychischen Diagramm des Alltags gewachsen. So bringt ganz allgemein der viel verzehrende mitteleuropäische Teiglinglüstling das ein oder andere Gramm zusätzlich auf die Waage. Wagemutig sind wir doch alle.

Jens hebt das Glas, und wir wünschen uns gegenseitig Gesundheit. Auf eine gelungene Fußball-Europameisterschaft, zwar ohne Kevin Kuranyi, doch wohl mit Sami Khedira und Miroslav Klose.

Zurück zu den Klössen, gewissermaßen, also zum ersten Gericht (ohne Richter beziehungsweise Urteil….). Schlichten statt richten. Grüner Salat mit gestückelten Walnüssen und gewürfeltem Speck sowie den mit einer Knoblauchzehe gestreichelten Brotcroutons wird gereicht.

„Walnusshälften sehen aus wie Gehirnhälften“ meint Fotografin Anja Grabert. „Stimmt“ antwortet Jens bestätigend und eilt zurück in die Küche. Ich folge ihm bedächtig und treffe ihn beim klangvollen Rühren im Karottentopf. „Uff, es hat fast schon geraucht“ entfährt es ihm nach der Rettung des Gratin Dauphinois. Es duftet nach Kartoffeln mit viel Milcheiweiß, sprich Creme double, Milch und Butter…..und ein bißchen Knoblauch, naturellement.

Ich hänge mit meinen Augen an einer Frankreichkarte, die an der Küchenwand alle Blicke auf sich ziehen möchte.

Für einen Augenblick zieht es uns wieder an den Esstisch und wir stürzen uns in Gespräche über die „Mehrarbeit“ der sich rasant vermehrenden Digitalisierung unserer Alltagswelt. „Mehr Möglichkeiten heißt auch mehr Zeitverbrauch“ sprudelt es aus meinem Mund.

Unfassbar wie mir immer wieder der extreme Duft der Lilien in die Birne steigt. Kein Williams sondern eine Pflanze mit betäubender Wirkung. „Lass´uns zurück in die Küche gehen“ äußert Jens, und ich ziehe wie mit Geisterhand auf einem imaginären Geleise hernach, den vegetarischen Sirenen des übelriechenden Gewächses entkommend.

„Es geht um die Wurst“ vernehme ich klar und deutlich aus des niedersächsischen Mannes Stimmbändern. Er gibt den in der Pfanne vor sich hin schmurgelnden Merguez etwas Chili bei. „ Merguez sind in Deutschland nicht so scharf wie in Frankreich. Die hier sind aus Rind und Lamm“. Aha, aus dem Elsass bin ich durchaus schärfere Darmlinge gewohnt, die dort vornehmlich aus Lammfleisch hergestellt werden. Beschert haben uns die Würstchen die nordafrikanischen Einwanderer. Wunderbar fürs Grillfeuer am Angelsee. Mit Senf oder einer Extraportion Harissa dazu. Bei Jens – übrigens im mit blau-weißen Querstreifen verzierten T-Shirt – sind verschiedenerlei Sorten von Bautz´ner Senf vorzufinden. Ich werde Herrn Thomas irgendwann einmal meinen Favoriten zum Kosten und hiermit ohne Widerstand meinen Senf dazu geben: Chilisenf mit leichter aber spürbarer Schärfe (je frischer vermahlen desto schärfer und gesünder geltend) von der Senfmühle aus Monschau in der Eifel, www.senfmuehle.de .

Jedem seine Wurst. A discrétion.

Ein pfannengebratener Würzsaitling nebst Kartoffelgratin und Carotte Vichy. Carotte reimt sich fast wieder auf Charlotte um einen vorläufigen Kreis zum Anfang des Artikels zu bilden, doch obacht, es handelt sich um eine besondere Art der Karottenzubereitung: Zuerst werden entweder kleinste Karotten nicht geschält sondern abgeschabt ! Hernach mit Wasser bedeckt, mit reichlich Butter, gut Zucker und einer ordentlichen Prise Salz versehen und solange geköchelt bis das Wasser vollends verdunstet ist. Wer keine kleine Möhren bekommt, nimmt größere und scheibelt diese vor dem Kochen fein. Zuguterletzt noch mit gehackter Petersilie vermengen. Fertig.

Der Dieter Thoma des Pianospiels mit Stimme (Jens, ich bin Sportliebhaber, rein kucktechnisch) erwähnt flugs nach Absprung vom Herdbacken wohlgestimmt, daß grundsätzlich Biogemüse bei ihnen eingekauft wird. Diesen feinen Steilpass schnurstracks aufnehmend, möchte ich auf das Permakultursystem des österreichischen Agrar-Rebells Sepp Holzer aufmerksam machen (www.krameterhof.at).

Es werden Rotweinflaschen auf den Tisch gestellt, zur Begutachtung wie Öffnung. Zum einen handelt es sich um einen Chateau Ayraud, Corbieres 2007 mit weichem Abgang und brombeerigen Tönen (Macon Medaille d´Or 2009). Zum anderen um einen Corbieres 2009 von der Domaine Fontsainte. Beide ergattert bei einem französischen Weinladen am Kaiserdamm.

„Vielleicht hätte ich doch Schweinefilet in Kapernsauce mit Zitrone machen sollen“ philosophiert Jens lauthals und vergnügt auf meine Frage, was denn sein Kochklassiker wäre. Bei solch selbst reflektierenden Anwandlungen, bin ich meistens geneigt, den Kopf bejahend zu schütteln. Auch ein Wolfgang Dauner schuldet mir in der Hinsicht noch seine unschlagbar geltenden Pfannkuchen !

Hm, wandlerisch wie Tischgespräche an solch´einem Abend zu sein pflegen, streifen wir unzählbare Diskussionsthemen. Wir unterhalten uns über Gott und die Welt, sprichwörtlich. Von Biogemüse im Hause Thomas und Geschichten über südländische Ess – und Arbeitsgewohnheiten genauso wie über den Geruch von frischem Tabak und frisch gemahlenen Kaffeebohnen. Bei letzteren beiden Dingen herrscht völlige Übereinstimmung: sobald Feuer mit Tabak, oder Wasser mit Kaffeepulver in Berührung kommt, verwandelt sich süßliche Geruchsverführung in harte wie legale Drogen, ohne die viele Menschen nicht zurande zu kommen scheinen. Wie scheußlich kalter Rauch unsere Riechorgane – und nicht nur die – belästigt ist, sorgt für Pein. Nicht nur an der Peine.

Und siehe da, wir gelangen – wie von Geisterhand geführt – zur piratösen Schändung des Urheberrechts im Internet und den Ungerechtigkeiten und Unsinnigkeiten mancher GEMA-Abrechnungsmodalitäten. Wir schwadronieren inbrünstig und bedauern schlußendlich das Fehlen von Sinnlichkeit, Muse und Spiritualität. Bis uns ein formidabler Apfelkuchen mit selbstgeknetetem Mürbeteig wieder ins Reich der oralen Befriedigung beamt. Scotty, bitte übernehmen Sie !

 

 

Empfehlung des Autors:

 

Kaffee für kostbare Momente…..Momente für kostbaren Kaffee. Die Frustrationen der reisenden Menschen, insbesondere der wach und aufmerksam zu bleibenden Automobilfahrer, explodieren in ungekannte Höhen beim Besuch vielfältigster Kaffeestationen an den Raststätten unserer Welt. Wegelagerei in jeder Hinsicht, preislich wie qualitativ. Machen Sie eine großen Bogen um die industrielle Massenproduktion, auch wenn ich mich wiederhole. Wenn Sie genießen wollen ohne Reue und mit sinnlicher „Vernunft“, wählen Sie einen Handwerksbetrieb, der mit Geschick und Wissen, hochwertige Kaffeebohnen in traditioneller Trommelröstung (nicht nur für Schlagzeugnasen) langsam röstet. An einem Musterbeispiel einer Existenzgründung baut Marco Burkhart. Die Eltern betreiben ein Bioweingut, und in der Familie gibt es auch eine berüchtigte und vom Autor leidenschaftlich besetzte Brotbäckerei. Man hat es also im Blut. Handwerkliche Feinkost. Eine Demarkationslinie, auf der Lebensmittel und Musik ihren Reigen tanzen. Hut ab und Verneigung

!

 

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Text: Dieter Ilg / www.dieterilg.de